Bluttat in Synagoge schürt Angst vor Religionskrieg

Jerusalem · Im Nahost-Konflikt ist schon lange nichts mehr heilig. Jetzt wurde auch eine Synagoge Ziel eines tödlichen Anschlags. Hass und Misstrauen bilden den Nährboden für immer neue Gewalt. Die Spirale dreht sich weiter und weiter.

Vier strenggläubige Juden liegen tot auf dem Boden der Synagoge in der "Straße des Weisen Simon Agasi". Ihre Gebetsschals und die kleinen ledernen Schachteln mit Tora-Zitaten auf Pergament färben sich in ihrem Blut. Die Männer, ausgebildete Rabbiner , sind von zwei Palästinensern mit Messern, Äxten und Schusswaffen attackiert und niedergestreckt worden. Augenzeugen sprechen von einem "Massaker". Die Täter aus dem arabischen Ostteil Jerusalems sterben im Beschuss der Polizei .

Jerusalem steht nach dem Anschlag im Stadtviertel Har Nof am Dienstag unter Schock. Es ist der blutigste Angriff auf im Glauben versammelte Juden seit sechs Jahren. Das ausschließlich von Ultraorthodoxen bewohnte Viertel ist nur durch ein Waldstück von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem getrennt. Diese geografische Symbolik ist ein Zufall, illustriert aber, wie sich der bislang in erster Linie politische Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in diesen Tagen in einen grausamen ethnischen und religiösen Konflikt zu verwandeln droht.

Nachdem die acht Verletzten, darunter zwei Polizisten, ins Krankenhaus gebracht sind, werden die vier Leichen in weißes Plastik gehüllt behutsam herausgetragen und abtransportiert. Auf einem Spielplatz neben der Synagoge bewegt ein Mann in schwarz-weißem Gebetsmantel schaukelnd den Oberkörper und ruft mit flehenden Armen und schmerzvoller Stimme seinen Allmächtigen an. Niemand kann hier verstehen, warum die Bluttat ihre ruhige Nachbarschaft traf, etliche Kilometer entfernt von den Brennpunkten im annektierten Osten der Stadt oder im militärisch besetzten Westjordanland. Weil der jahrzehntelange nationale Streit zwischen Israelis und Palästinensern um das Land zunehmend von religiösen Disputen überformt wird, ist nun jedes Gotteshaus ein mögliches Anschlagsziel. So brannte vor einer Woche nahe Ramallah eine Moschee aus; vieles deutet darauf hin, dass die Täter aus einer benachbarten jüdischen Siedlung kamen. Akuter Auslöser der aktuellen Gewalttaten ist ein Streit um die Nutzung der Hochterrasse mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt, die von den Juden als Tempelberg geheiligt wird.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte am Wochenende in Ramallah und Jerusalem selbst gespürt, "wie aufgeladen die Atmosphäre dort ist". Am Dienstag sagt er: "Die Überlagerung der zahlreichen ungelösten politischen Fragen mit religiöser Konfrontation gibt einem ohnehin ernsten Konflikt eine neue gefährliche Dimension." Daniel Nisman, Gründer der mit Risikoforschung befassten Levantine Group, stellt fest, dass "alle möglichen radikalen Palästinensergruppen das Al-Aksa-Thema ausnutzen, um einen Heiligen Krieg zu befördern". Er verweist auf "die überwältigende Zahl von Karikaturen in arabischen Zeitungen und sozialen Netzwerken, die vorne einen Anschlag und im Hintergrund den Felsendom zeigen". Kobi Michael, Ex-Diplomat und jetzt Konfliktforscher, nennt "das Ereignis außergewöhnlich ernst". Es könne die Lage völlig verändern: "Bei allen liegen die Nerven blank, speziell in Jerusalem fühlt sich niemand mehr sicher. Daraus entsteht ein öffentlicher Druck, der die Entscheidungsträger zu Handlungen verleiten könnte, die nicht ihren eigentlichen Überzeugungen entsprechen."

Um die Anschlagswelle sofort zu stoppen, müssten die arabischen und jüdischen Stadtviertel eigentlich hermetisch getrennt werden, sagt Nisman. "Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Es könnte verstärkte Spannungen mit den ausgesperrten Einwohnern erzeugen, von denen die große Mehrheit ja keinerlei Eskalation wünscht."

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