Blutspur im Herzen des alten West-Berlin

Gegen 22 Uhr bietet sich unter der Berliner Gedächtniskirche, im Herzen des alten West-Berlin, das Bild eines Großeinsatzes. Ein 20-Tonnen-Lkw steht schräg auf der Budapester Straße, die Windschutzscheibe ist zersplittert. Er ist um 20 Uhr aus der Kantstraße kommend quer über den Weihnachtsmarkt unter der Gedächtniskirche gefahren und hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

 Kein Durchkommen: Polizisten sperrten mit einem Großaufgebot den Anschlagsort rund um den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ab.

Kein Durchkommen: Polizisten sperrten mit einem Großaufgebot den Anschlagsort rund um den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ab.

Neun Menschen sind tot, über 50 verletzt, einige davon lebensgefährlich, teilte ein Polizeisprecher mit. Gegenüber der Gedächtniskirche ist ein Notfallzelt des Roten Kreuzes aufgebaut, von dem immer wieder Verletzte auf Tragen in die Notarztwagen gebracht werden. Etwa 30 Fahrzeuge der Feuerwehr sind im Einsatz. Das Gelände ist weiträumig von Polizisten mit Maschinenpistolen abgesichert. Der Lastwagen, der die Spur der Verwüstung hinterließ, hat ein polnisches Kennzeichen. Es handelt sich um einen Sattelschlepper mit sehr langem Auflieger, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Facebook aktivierte nach dem möglichen Anschlag seinen Sicherheits-Check. Nutzer, die in der Region rund um den Unglücksort sind, konnten so Freunden mitteilen, dass sie in Sicherheit sind. Der Service war in den vergangenen Monaten immer wieder aktiviert worden - etwa nach den Anschlägen in Nizza oder Brüssel.

Noch ist nicht sicher, dass es sich um einen Terror-Anschlag handelt, aber viele Umstände sprechen dafür. Der Fahrer ist aus dem Lastwagen geflüchtet, wird aber wenig später an der Siegessäule im Tiergarten festgenommen. Sein Beifahrer liegt tot im Führerhaus, offenbar aufgrund des Zusammenpralls mit Laternenmasten.

Kurz vor 22 Uhr taucht der Regierende Bürgermeister, Michael Müller am Tatort auf und sagt: "Das ist etwas, wovor wir uns immer gefürchtet haben, jetzt ist es geschehen", sagt er. Tatsächlich hatte sich durch den Bomben-Anschlag im bayerischen Ansbach und das Axt-Attentat in Würzburg angedeutet, dass der Terror um Deutschland keine Bogen macht. Der Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gehört zu den Hauptattraktionen im vorweihnachtlichen Berlin. Der Schaustellerverband hatte zu Beginn des Markts in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendamms im Zentrum in diesem Jahr erneut rund eine Million Besucher erwartet. Er ist somit einer der meistbesuchten Weihnachtsmärkte der Hauptstadt.

Der bereits im November eröffnete Weihnachtsmarkt befindet sich neben der Gedächtniskirche. Nahe dem Bahnhof Zoo und dem berühmten Kaufhaus des Westens (Kadewe) gelegen, zieht der Platz vor allem mit seinem großen illuminierten Baum zahlreiche Besucher aus aller Welt an.

Der Weihnachtsmarkt wurde gestern weiträumig abgesperrt. Zahlreiche Polizisten mit Maschinengewehren waren zu sehen. Die Polizei rief die Bewohner der Hauptstadt zur Ruhe auf. "Bleiben Sie zu Hause und verbreiten Sie keine Gerüchte", schrieb sie auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter .

Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich am Abend tief betroffen über das "schreckliche Geschehen". "Das ist ein schlimmer Abend für Berlin und unser Land, der mich wie zahllose Menschen sehr bestürzt", teilte Gauck mit. "Auch wenn wir noch nicht viel über die Hintergründe des schrecklichen Geschehens auf dem Berliner Weihnachtsmarkt wissen: Ich bin in Gedanken bei den Opfern, bei ihren Angehörigen, bei allen Menschen, die um Familienangehörige oder Freunde fürchten."

 Sichtlich schockiert: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller eilte gestern zum Anschlagsort – und rang nach Worten.

Sichtlich schockiert: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller eilte gestern zum Anschlagsort – und rang nach Worten.

 Großeinsatz am Ort des Grauens: Sanitäter bringen einen der über 50 Verletzten in einen Krankenwagen. Fotos: dpa/Gambarini

Großeinsatz am Ort des Grauens: Sanitäter bringen einen der über 50 Verletzten in einen Krankenwagen. Fotos: dpa/Gambarini

Solidarität kam am Abend vom Terror-geschundenen Nachbarn: "Ganz Frankreich steht an Deutschlands Seite", erklärte Präsident François Hollande .

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort