Bloß nicht aneckenEnergie, Gesundheit und Olympia - Beschlüsse des Grünen-Parteitags

Freiburg. Zum Schluss dürfen sich die gut 800 Delegierten doch noch an der gefühlten Stärke ihrer Partei berauschen. Winfried Kretschmann, sonst nicht eben ein Temperamentsbolzen, steht auf der Bühne und hält begeistert ein Plakat mit dem Schriftzug "Auftrag 2011" in die Höhe. Daneben winken Renate Künast und die übrigen Wahlkampf-Matadore ins Publikum

 Cem Özdemir und Claudia Roth freuen sich gemeinsam über ihre Wiederwahl als Parteivorsitzende der Grünen. Özdemir bekam 88,5 Prozent der Delegiertenstimmen, Roth 79,3 Prozent. Foto: dpa

Cem Özdemir und Claudia Roth freuen sich gemeinsam über ihre Wiederwahl als Parteivorsitzende der Grünen. Özdemir bekam 88,5 Prozent der Delegiertenstimmen, Roth 79,3 Prozent. Foto: dpa

Freiburg. Zum Schluss dürfen sich die gut 800 Delegierten doch noch an der gefühlten Stärke ihrer Partei berauschen. Winfried Kretschmann, sonst nicht eben ein Temperamentsbolzen, steht auf der Bühne und hält begeistert ein Plakat mit dem Schriftzug "Auftrag 2011" in die Höhe. Daneben winken Renate Künast und die übrigen Wahlkampf-Matadore ins Publikum. "2011 wird spitze", heißt der finale Programmpunkt in der Freiburger Messehalle.

Tatsächlich haben die Grünen gute Chancen, 2011 die Republik zu "rocken", wie es der alte und neue Parteichef Cem Özdemir formuliert. Nach den aktuellen Umfragen könnten Kretschmann und Künast bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Berlin sogar die Regierungschefs stellen. In Bremen, wo die Grünen schon in der Regierung sind, will man zulegen und in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt sowie in Mecklenburg-Vorpommern endlich das außerparlamentarische Oppositionsdasein beenden. Auch dafür stehen die demoskopischen Zeichen hoffnungsvoll. Frenetisch werden die Spitzenkandidaten von der Basis gefeiert.

In den zwei Tagen zuvor ging es deutlich nüchterner zu. Aus Furcht, den Delegierten könnte der grüne Höhenflug zu Kopf steigen, verordnete die Führung ein fast schon dröges Arbeitsprogramm. Nur nicht anecken, hieß das Gebot des Wochenendes. Kein Streit sollte das Bild trüben. Bis auf eine böse Regie-Panne ist das auch gelungen.

So ackerte das Parteivolk stundenlang umfängliche Anträge durch, um am Ende zu beschließen, was in aller Regel schon vorher als Gewissheit galt. Der Atomausstieg wurde noch einmal bekräftigt, Gorleben als atomares Endlager verteufelt und ein Ausbau der kommunalen Gewerbesteuer beschworen. Und wo es gefährlich konkret zu werden drohte, wie etwa bei dem Ansinnen, den Bürgern bis 2015 (!) einen Austausch sämtlicher Ölheizungen abzuverlangen, da sorgte eine sorgsame Parteitagsregie für unverfängliche Semantik oder Absetzung der Debatte. Letzteres geschah beim Antrag zur Abschaffung der Rente mit 67. Gegner und Befürworter hätten sich hinter den Kulissen geeinigt und ihre Papiere zurückgezogen, hieß es dazu lapidar.

Ausgelassene Stimmung kam meist nur dann auf, wenn sich Redner die politische Konkurrenz vorknöpften. Alle anderen Parteien redeten über die Grünen. Das "zeigt, dass sie selbst nichts zu bieten haben", höhnte Renate Künast. Cem Özdemir proklamierte derweil so etwas wie eine grüne Volkspartei: "Wir müssen unsere Politik noch mehr danach ausrichten, dass sie umfassend ist und alle Teile unserer Gesellschaft umfasst". Eine Diskussion darüber gab es nicht. Dabei ist die verstärkte Hinwendung zu bürgerlichen Wählerschichten durchaus umstritten. Der linke Flügel will das stattliche 20-Prozent-Polster in den Umfragen zu einer Schärfung des politischen Profils nutzen. Mehr "Grün pur" könnte aber jene Milieus verschrecken, die Özdemir und der Realo-Flügel im Blick haben. Ein Dilemma. Immerhin gelang es den Linken per Antrag, die Lohn- und Gehaltsgrenze, bis zu der gesetzliche Krankenkassenbeiträge fällig sind, von jetzt 3750 Euro auf satte 5500 Euro hochzuschrauben. Das würde auch die eigenen gut verdienenden Wähler treffen.

Die turnusmäßige Neuwahl der Parteispitze verlief indes ohne jede Überraschung. Sämtliche Amtsinhaber wurden für weitere zwei Jahre bestätigt. Bei soviel Harmonie suchte sich der Parteitag schließlich auf einem Nebenkriegsschauplatz sein Ventil. Am späten Samstagabend stimmte die Basis für einen Antrag aus Bayern, der die Münchner Olympia-Bewerbung für das Jahr 2018 rundweg ablehnt. Aus "ökologischen und finanziellen Gründen", wie es in dem Papier hieß. Eigentlich wollte die Führung das Thema genauso wegdrücken wie die Vorlage zur Rente mit 67. Aber diesmal ließen sich die Antragsteller nicht erweichen. So war die Parteispitze gleich doppelt düpiert. Nicht nur, dass Claudia Roth im Kuratorium der Bewerbungs-Gesellschaft sitzt. Auch ihr Hauptargument, lieber von innen für grüne Spiele zu sorgen, als nutzlos von außen herumzumäkeln, lief ins Leere.

Gefallen sich die Grünen doch lieber als "Dagegen-Partei", wie die Union in den letzten Wochen ständig behauptet hat? Diesen Eindruck wollte die Parteispitze tunlichst vermeiden. Nun sind die Ökos leichter angreifbar. Nach dem ersten Schreck setze sich der Vorstand zusammen und beschloss den Rückzug Roths aus dem Kuratorium. Wie könnte sie dort auch weiter mitplanen, wenn die eigene Partei rebelliert?

Ein Delegierter, der sich ebenfalls vom erfolgreichen Widerstand aus Bayern überrumpelt fühlte, nahm die Niederlage mit Galgenhumor: "Mit Bergvölkern kann man eben nicht verhandeln." Energie: Die Grünen halten am Atomausstieg fest. Sie wollen die sieben ältesten Meiler in Deutschland und den Reaktor Krümmel sofort stilllegen. Die Partei fordert eine ergebnisoffene Suche für ein Atommüll-Endlager und ist gegen eine Festlegung auf den Standort Gorleben, den sie für ungeeignet hält. Die Grünen wollen die Aufgabe des Standorts erreichen, sie schließen Gorleben dabei aber nicht vorab aus der Endlagersuche aus.

Die Stromproduktion soll nach dem Grünen-Konzept möglichst bis 2030, die Wärmeproduktion bis 2040 komplett auf erneuerbare Energien umgestellt sein. Bis 2050 soll der CO2-Ausstoß um 95 Prozent reduziert werden. Den Neubau von Kohlekraftwerken wollen die Grünen verhindern, die Einsparung von Energie vorantreiben und die Förderung der Gebäudesanierung ausbauen.

Gesundheit: Die Grünen wollen im Gesundheitssystem weiterhin den Umbau zu einer Bürgerversicherung. Grund-Idee ist, dass anders als heute alle Bürger einbezogen werden - also auch Selbstständige oder Beamte - und alle Einkünfte - also auch Mieteinnahmen oder Zinsen. Die Beitragsbemessungsgrenze (die Obergrenze des Einkommens für die Berechnung der Kassenbeiträge) wollen die Grünen anheben. Bislang liegt sie in der gesetzlichen Krankenversicherung bei 3750 Euro. Die Grünen plädieren stattdessen für einen Wert von 5500 Euro, der heutigen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Olympia: Entgegen dem Kurs der Parteispitze sprachen sich die Grünen gegen die Bewerbung Münchens für die Olympischen Spiele 2018 aus. Die Kandidatur sei ökologisch wie finanziell, aber auch wegen mangelnder Transparenz der beteiligten Gremien, nicht haltbar, hieß es in einem Antrag, dem eine knappe Mehrheit der Delegierten zustimmte. Als Konsequenz ziehen sich die Grünen aus dem Kuratorium der Bewerbergesellschaft zurück. dapd

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