Bitte zur Kontrolle!

Brüssel/Saarbrücken. Wahlkampf oder Anschlag auf die Reisefreiheit in Europa? Wenige Tage vor der ersten Runde der französischen Präsidentenwahlen haben Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und sein Pariser Amtskollege Claude Guéant mit einem gemeinsamen Brief für Ärger gesorgt. Beide fordern in dem Schreiben an die dänische Ratspräsidentschaft Korrekturen am Schengen-Vertrag

Brüssel/Saarbrücken. Wahlkampf oder Anschlag auf die Reisefreiheit in Europa? Wenige Tage vor der ersten Runde der französischen Präsidentenwahlen haben Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und sein Pariser Amtskollege Claude Guéant mit einem gemeinsamen Brief für Ärger gesorgt. Beide fordern in dem Schreiben an die dänische Ratspräsidentschaft Korrekturen am Schengen-Vertrag. Sollten die Grenzen im Osten der Europäischen Union nicht effizient genug gesichert werden können, müsse "als letztes Mittel die Möglichkeit einer auf 30 Tage befristeten Wiedereinführung der Binnen-Kontrollen" geschaffen werden. Die Entscheidungsgewalt solle bei den nationalen Regierungen liegen.Schon bisher können die Schlagbäume wieder heruntergelassen werden, beispielsweise wenn im Umfeld von Großereignissen Unruhen zu befürchten sind. Insgesamt 26 Mal nutzten EU-Staaten seit Beginn der Reisefreiheit 1995 diese Ausnahme. Die Bundesrepublik hat von der Möglichkeit während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und zum G-8-Gipfeltreffen in Heiligendamm 2007 Gebrauch gemacht. Doch nun geht es um mehr. "Wir brauchen einen Mechanismus einschließlich einer Schutzklausel für den Fall, dass ein Mitgliedstaat nicht mehr in der Lage ist, seine Verpflichtungen gemäß den Schengen-Vorschriften zu erfüllen", heißt es in dem Brief, der unserem Brüsseler Büro vorliegt. Damit ist klar, warum sich der Bundesinnenminister für die Politik des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy hat einspannen lassen: Beide befürchten nach der bevorstehenden Öffnung der EU-Binnengrenzen zu Bulgarien und Rumänien ein offenes Einfallstor für Kriminelle und illegale Einwanderer. Sarkozy hatte deshalb während des Wahlkampfes sogar schon mit einem Austritt aus dem Schengen-System gedroht.

In Brüssel gibt man sich irritiert. "Von der Bundesregierung wussten wir bisher nicht, dass sie auch diese Linie vertritt", sagte am Freitag ein hoher EU-Diplomat der SZ. Ein Irrtum, denn Friedrich hatte schon vor genau einem Jahr im Kreis der EU-Innenminister deutlich gemacht, dass er "zeitlich befristete" Personenkontrollen befürwortet. Und auch die Forderung, diese Entscheidung allein den Hauptstädten zu überlassen, ist nicht neu. Seit Monaten streitet Kommissarin Cecilia Malmström mit den Innenressort-Chefs. Sie fordert von den Mitgliedstaaten, dass allein die Kommission die befristete Wiedereinführung von Kontrollen genehmigen darf.

Kein Wunder also, dass das Schreiben in Berlin und Brüssel den Verdacht eines "undurchsichtigen Wahlkampfmanövers" (so der Präsident des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz) auslöste. "Das ist eine Unterstützung Sarkozys bei dem Versuch, vor der Wahl am rechten Rand zu fischen, zu Lasten Europas", kommentierte der Chef der FDP-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Alexander Graf Lambsdorff. Sein sozialdemokratischer Kollege, der Saarländer Jo Leinen warnte: "Hände weg vom Schengen-Vertrag." Die Reisefreiheit sei eines "der Grundrechte für die Bürger in Europa".

Der saarländische Innenminister Stephan Toscani (CDU) räumt zwar ein, dass die Reisefreiheit in der EU einerseits ein hohes Gut sei, "das wir in der Großregion Saar-Lor-Lux mit täglich 200 000 Grenzgängern intensiv nutzen und schätzen". Doch müsse das Schengen-Abkommen dringend verbessert werden, um Schlupflöcher an der Außengrenze einzelner Mitgliedstaaten zu schließen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik spreche deutliche Worte: Danach hat es an den saarländischen Grenzen eine deutliche Steigerung der "unerlaubten Einreise" gegeben: von 758 Fällen im Jahr 2010 auf 879 in 2011.

Eine Reform ist allerdings ohnehin beschlossene Sache, nachdem der frühere italienische Regierungschef Silvio Berlusconi im April 2011 Flüchtlinge einfach ins übrige Europa hatte ausreisen lassen. Frankreich schloss damals zeitweise seine Grenzen.

Hintergrund

Das Abkommen von Schengen beseitigte 1985 zunächst die Schlagbäume zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern. Heute gehören 25 Staaten zum Schengengebiet ohne Kontrolle der Binnengrenzen. Neben 22 EU-Ländern (alle außer Irland, Großbritannien, Zypern, Bulgarien und Rumänien) sind das Norwegen, Island und die Schweiz. Im Schengen-Grenzkodex werden auch Voraussetzungen genannt, unter denen ein Staat vorübergehend wieder Kontrollen einführen darf. Nach Artikel 23 kann ein Land "im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" für einen begrenzten Zeitraum an seinen Grenzen ausnahmsweise wieder Personen kontrollieren. dpa

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