Billige Brustimplantate und jede Menge offene Fragen

Berlin. Der Skandal um Pfusch-Implantate aus Frankreich hat viele Frauen verunsichert. Anders als von Experten gefordert, hält das Bundesgesundheitsministerium aber eine Verschärfung der Zulassungsregelungen für unnötig. Es bestehe "kein Anlass, grundsätzlich die Systemfrage zu stellen", hieß es gestern

Berlin. Der Skandal um Pfusch-Implantate aus Frankreich hat viele Frauen verunsichert. Anders als von Experten gefordert, hält das Bundesgesundheitsministerium aber eine Verschärfung der Zulassungsregelungen für unnötig. Es bestehe "kein Anlass, grundsätzlich die Systemfrage zu stellen", hieß es gestern.Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische und Plastische Chirurgie werden hierzulande pro Jahr etwa 60 000 Eingriffe mit Brustimplantaten vorgenommen. Zwei Drittel davon aus kosmetischen Gründen. Der Rest geht auf Unfälle oder eine Krebserkrankung zurück. Ungewiss ist, wie viele Frauen ein schädliches Implantat des mittlerweile insolventen Herstellers PIP in sich tragen. Im Gesundheitsministerium geht man von "unter 10 000" Betroffenen aus. Fest steht, dass es bereits in 25 Fällen zu Komplikationen kam. Die Silikonkissen waren gerissen. Doch auch aus scheinbar intakten Produkten von PIP, die seit 2001 auf dem deutschen Markt sind, könnten Silikonöle austreten und ins Lymphsystem gelangen, warnen Experten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatte deshalb vor ein paar Tagen zur Entfernung der Polster geraten.

In einer ersten Reaktion war das Gesundheitsministerium davon ausgegangen, dass Betroffene in diesem Fall Anspruch auf Kostenübernahme durch die Kassen hätten. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) stellte gestern auf Anfrage der SZ klar, dass nur jene Eingriffe inklusive eines neuen Kissens komplett übernommen würden, die auch schon bei der ursprünglichen Implantation kostenfrei gewesen seien. Darunter fallen alle Operationen aus medizinischen Gründen. Wer sich dagegen nur die Brust vergrößern lassen wollte, muss sich laut Gesetz "in angemessener Höhe", in der Regel zur Hälfte, an den Kosten der Folge-Operation beteiligen. Das sind je nach Kulanz der Kasse etwa 2000 bis 3000 Euro. Die privaten Krankenkassen haben indes die volle Kostenübernahme zugesichert.

Ein echtes Ärgernis für Fachleute sind die ihrer Einschätzung nach laschen Voraussetzungen für eine Marktzulassung von Brustimplantaten. "Die Verantwortung für das Produkt liegt allein beim Hersteller. Ein amtliches Zulassungsverfahren wie bei Arzneimitteln gibt es nicht", klagt der GKV-Spitzenverband in einer Stellungnahme. Im Falle der Silikonkissen bedarf es der Prüfung eines "akkreditierten Unternehmens". Dafür kommt zum Beispiel der TÜV in Frage. Dort werden die Unterlagen des Herstellers geprüft. Und am Ende gibt es ein "CE"-Kennzeichen. "Das bedeutet aber lediglich, dass das Produkt technisch in Ordnung ist", sagte AOK-Sprecher Udo Barske unserer Zeitung. Im Kern handele es sich nur um eine Zertifizierung.

Selbst die hatte sich der Hersteller PIP aber offenbar nur erschlichen, indem er dem TÜV Rheinland ein anderes Silikon zur Prüfung unterschob. Im Gesundheitsministerium sieht man deshalb allenfalls bei der Überwachung der Produktqualität Nachbesserungsbedarf. Denkbar seien auch unangemeldete Kontrollen bei den Herstellern. An den Zulassungskriterien will die Regierung nicht rütteln. Der Spitzenverband der Krankenkassen fordert eine Reform des Verfahrens, die sich an den strengen Standards der Zulassung von Medikamenten orientieren solle.

Meinung

Seltsam unterkühlt

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Das Bundesgesundheitsministerium reagiert auf den PIP-Skandal seltsam unterkühlt und tut so, als gäbe es höchstens kosmetischen Korrekturbedarf, um windigen Geschäftemachern in der Gesundheitsindustrie das Handwerk zu legen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Regelwerk für die Zulassung medizinischer Produkte bietet offenbar viele Schlupflöcher. Im Schadensfall gibt es noch nicht einmal ein Register, um Betroffene vor möglichen Gesundheitsschäden zu warnen. In der übrigen Wirtschaft ist man da schon weiter. Wer in seinem Auto fehlerhafte Achsen oder Bremsen hat, bekommt schnell Post von seiner Werkstatt. Warum sollte das nicht auch beim kostbarsten persönlichen Gut, der Gesundheit, möglich sein? Im Frühjahr steht ohnehin eine Reform des medizinischen Produktrechts auf EU-Ebene an. Spätestens hier kann Gesundheitsminister Bahr beweisen, dass ihm die Geschädigten des PIP-Skandals nicht egal sind.

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