"Betreuungsgeld würde die Familienpolitik der letzten Jahre konterkarieren"

Nur noch 8,3 Geburten pro 1000 Einwohner. Haben Sie diese Zahlen der OECD für das Jahr 2010 überrascht?Kreyenfeld: Das ist keine neue Entwicklung. Die Geburtenraten in Deutschland liegen schon seit Jahrzehnten auf einem niedrigen Niveau.Nach der Wende gingen die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland stark auseinander

 Michaela Kreyenfeld Foto: privat

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Nur noch 8,3 Geburten pro 1000 Einwohner. Haben Sie diese Zahlen der OECD für das Jahr 2010 überrascht?Kreyenfeld: Das ist keine neue Entwicklung. Die Geburtenraten in Deutschland liegen schon seit Jahrzehnten auf einem niedrigen Niveau.

Nach der Wende gingen die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland stark auseinander. Hat sich das wieder angeglichen?

Kreyenfeld: Zunächst brach die Geburtenrate in den neuen Ländern drastisch ein, auf 0,8 Kindern pro Frau ein, den niedrigsten Wert, der je auf der Welt für ein Land gemessen wurde. Seit Mitte der 90er Jahre ist sie wieder gestiegen und hat 2008 den Westen sogar leicht überholt. Aber hinter den Zahlen verbergen sich noch große Unterschiede. Zum Beispiel ist der Anteil der Frauen, die ihr Leben lang ohne Kinder bleiben, in Westdeutschland sehr hoch, mit etwa 20 Prozent einer der höchsten in der Welt. Aber wenn Frauen im Westen ein Kind bekommen, dann kriegen sie häufig auch ein zweites. Allerdings kein drittes mehr wie etwa in Frankreich. In Ostdeutschland ist die totale Kinderlosigkeit weit geringer. Dafür bekommen mehr Frauen aber häufiger nur ein Kind.

In den letzten Jahren hat die Regierung ihre Anstrengungen in der Familienpolitik erheblich verstärkt hat, etwa mit dem Erziehungsgeld oder dem Kita-Ausbau. Ist das alles "für die Katz"?

Kreyenfeld: Natürlich ist es wichtig zu fragen, warum das Elterngeld in Deutschland sich nicht so positiv ausgewirkt hat wie beispielsweise in Schweden. Aber es ist für Antworten noch viel zu früh. Auch in Schweden hat die Neuregelung nicht sofort zu mehr Geburten geführt. Und was den Kita-Ausbau angeht, so sind hier viele Bundesländer noch weit entfernt von einer ausreichenden Versorgung.

In Deutschland wird die Familie finanziell besonders stark gefördert. 140 Milliarden Euro sind es jedes Jahr. Und trotzdem findet Familie im klassischen Sinne, also mit Kindern, immer seltener statt.

Kreyenfeld: Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Leistungen in Deutschland tatsächlich hoch. Länder, die deutlich weniger für Familienpolitik ausgeben, wie die USA oder Großbritannien, haben höhere Geburtenraten. Einige der Maßnahmen hier nutzen für den Mut zum Kind eher wenig oder haben sogar eine gegenteilige Wirkung, wie zum Beispiel das Ehegattensplitting. Denn es belohnt nur jene Paare, die dem klassischen Modell folgen, in dem die Frauen nicht erwerbstätig ist. Das wollen und können immer weniger.

Und die CSU fordert noch ein Betreuungsgeld für Eltern, die ihr Kind nicht in den Kindergarten schicken.

Kreyenfeld: Das würde die Familienpolitik der letzten Jahre regelrecht konterkarieren. Denn die geht in Richtung Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn man jetzt Anreize gibt, wieder zu Hause zu bleiben, wird das vor allem schlecht qualifizierte Frauen ansprechen. Die aber haben später kaum noch eine Chance, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen.

Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich der Schlüssel für mehr Kinder?

Kreyenfeld: Es gibt dazu keine harten empirischen Erkenntnisse. Aber wir wissen, dass die Länder, wo die Vereinbarkeit gut ist, wie in den nordischen Ländern oder Frankreich, auch die Geburtenrate relativ hoch ist.

Liegt es auch an der Einstellung? In Deutschland glauben viele Frauen, sie seien Rabenmütter, wenn sie ihr Kind zur Betreuung weggeben und arbeiten gehen. Also verzichten sie im Zweifel auf das Kind.

Kreyenfeld: Das scheint in der Tat eine große Rolle zu spielen. Vor allem Westdeutschland sticht bei allen internationalen Untersuchungen heraus, wenn gefragt wird, ob das Kind unter der Berufstätigkeit der Mutter leide. Die Menschen in anderen Ländern sehen das deutlich entspannter, auch in Ostdeutschland.

Was also raten Sie der Politik, um die Zahlen vielleicht mittelfristig doch noch nach oben zu bewegen?

Kreyenfeld: Ich denke, dass der eingeschlagene Kurs, die Vereinbarkeit von Kind und Beruf durch Kita-Ausbau und Elterngeld zu fördern, zukunftsweisend ist. Wenn die Menschen sehen, dass beides geht, werden sich vielleicht auch langsam die Einstellungen verändern. Allerdings: Auch dann wird sich die Fertilität nur mäßig erhöhen. In keinem europäischen Land liegt die durchschnittliche Kinderzahl deutlich über zwei Kindern pro Frau.

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