Beten und schweigen: Ich bin dann mal Mönch

Der Busfahrer schließt die Türen und lässt mich allein. Ein Parkplatz, zwei abgestellte Fiats, ein Bushaltestellen-Wartehäuschen, an dem keiner wartet. Don Marco hatte gesagt, er würde mich vom Bus abholen und hoch ins Kloster bringen. Doch außer, dass es kälter und dunkler wird, passiert nichts. Ich bin allein. Vorhin war das noch ganz anders

 Ein Benediktinermönch betet im Chorgestühl der Klosterkirche in Subiaco. Fotos: Martin Zöller

Ein Benediktinermönch betet im Chorgestühl der Klosterkirche in Subiaco. Fotos: Martin Zöller

Der Busfahrer schließt die Türen und lässt mich allein. Ein Parkplatz, zwei abgestellte Fiats, ein Bushaltestellen-Wartehäuschen, an dem keiner wartet. Don Marco hatte gesagt, er würde mich vom Bus abholen und hoch ins Kloster bringen. Doch außer, dass es kälter und dunkler wird, passiert nichts. Ich bin allein. Vorhin war das noch ganz anders. Nach "Ponte Mammolo" solle ich mit der U-Bahn fahren, hatte Don Marco gesagt, dort dann den Bus nach Subiaco nehmen: Subiaco. Jener Ort, an den einst ein junger Mann aus Rom floh, um zum Wesentlichen zu finden, Benedikt von Nursia, dem heutigen Norcia in Umbrien. Das will ich auch, zumindest für ein verlängertes Wochenende. Im Doppeldeckerbus sitze ich zwischen Pendlern, rumänischen Bauarbeitern mit baumdicken Oberarmen und Frauen aus Polen. Als wäre es die Voraussetzung für die Beförderung probieren alle im Bus unablässig Klingeltöne oder Handyspiele aus. An einem Parkplatz rief der Fahrer "Subiaco!" Ich stieg aus.

Da, die Lichter eines Autos. Das muss Don Marco sein, zuständig für die Betreuung von Gästen im Kloster. Sein Händedruck: Fest. Ohne zu lächeln, aber freundlich schaut er mir in die Augen. "Piacere, Don Marco", sagt er. Ich sprudle los: Dass es so nett sei, dass er mich abhole; dass es in Rom so quirlig ist, dass ich mich jetzt auf ruhige Tage im Kloster freue. Ich schaue zu Don Marco rüber; er schweigt. Ich habe schon meine erste Lektion gelernt: Man kann nie genug schweigen. So winden wir uns im Fiat Punto die Bergstraße hinauf, um in das "Heilige Tal" zu gelangen, in dem seit Jahrhunderten Menschen in Gebet und Zurückgezogenheit leben.

Vor dem Kloster Santa Scholastika ein Eisentor. Die heilige Scholastika war die Schwester des Heiligen Benedikt. Einmal im Jahr trafen sie sich der Überlieferung nach hier, wo heute das Kloster steht. Scheinwerfer beleuchten den Eingang zum Kloster: "Ora et Labora" steht da mannshoch, "Bete und Arbeite", der Leitspruch der Benediktiner, dem ältesten Mönchsorden der Christenheit. Don Marco sperrt die Klostertür auf, ein erster Innenhof, ein zweiter. Der erste ist neu, der zweite ist älter. Es gibt noch einen dritten, sagt Don Marco, Touristen haben da keinen Zugang, nur Mönche, "e tu", sagt er, "und du". Er werde mir was zu essen machen, sagt er. Im Vorraum zum Speisesaal der Mönche empfängt mich ein Geräusch, das ich aus der normalen Welt kenne, das Summen eines Kaffeeautomaten. In der Stille empfinde ich es geradezu als beruhigend. Marco zieht eine schwere Holztür auf, fast doppelt so groß wie ich, das Refektorium, der Speisesaal der Mönche. Schwere Holztische sind zu einem eckigen U zusammengeschoben, direkt neben dem Eingang ein Lesepult mit Mikrofon. Marco führt mich zu einem gedeckten Platz, er verschwindet in die Küche.

Nachdem ich halblaut ein "Hallo" in den Raum gesprochen habe, um zu sehen, ob es hallt - es hallt nicht - kommt Marco herein. In der rechten Hand hält er einen Teller, auf dem ich schon aus der Ferne roten Schinken erkenne, in der linken eine Flasche Bier. Er verabschiedet sich zum Abendgebet der Mönche. Nach dem Lärm im Bus höre ich jetzt: nichts. Die Stille macht keine Angst, es ist keine Friedhofsruhe. Die Mönche sagen, die Stille wirft einen auf das Wesentliche zurück - mich erst einmal auf das Essen. Ein geräucherter Schinken, geschnittener Fenchel mit Olivenöl beträufelt, Brot, ja und das Bier. Es ist so anders, so still zu essen, ohne andere, ohne Ablenkung.

Don Marco führt mich auf mein Zimmer. Eine schmale Treppe öffnet sich zu einem steinernen Gang, breit wie eine Landstraße, lang wie ein Tunnel, nur erleuchtet durch einen Kronleuchter am Ende. Links und rechts des Ganges sind die Mönchszellen, alle fünf Meter eine, wir laufen Dutzende entlang. Wir gehen in der Mitte und überholen spielend einige alte Mönche.

Zimmer 65 ist karg. Kiefernmöbel wie in einem Jugendzimmer, ein Fenster zum Hof, ein kleines Bad ohne Dusche, eine Telefonliste. Auf dem Schreibtisch liegt der Stundenplan. "Wir stehen um 5.30 Uhr auf", sagt Don Marco. Meinen ersten Wecker stelle ich auf 5.25 Uhr, den zweiten auf 5.35 Uhr. Es ist gerade einmal viertel nach neun. Normalerweise fängt jetzt der Abend erst an. Ich schlafe nicht gut. Es ist zu leise, das Bett zu weich. Irgendwann klingelt der erste Wecker, dann der Klosterwecker. Kirchenglocken schlagen: Viermal, fünfmal.

Vor der Klosterkirche treffe ich Don Marco. Ich nicke ihm zu, er nickt zurück. Gut, dass ich nicht "buon giorno" gesagt habe, man schweigt bis nach dem Frühstück. Wir betreten die Kirche, gehen um den Altar herum und in den Chor hinein, den Teil am Ende der Kirche, der Apsis. Einige Mönche sitzen schon auf ihren Plätzen und blättern im Buch, in dem die Psalmen stehen. Ich bekomme einen Platz in der ersten Reihe, einen Stapel Bücher dazu. Aus der Dunkelheit der Kirche kommen immer mehr Mönche zu uns, das Holz knarzt. Als der Abt kommt, geht es los. "Herr, öffne unsere Lippen", sprechen die Mönche am Anfang. Dann die Psalmen. Eindringliche, direkte Verse. Die Mönche blättern mal hierhin, mal dorthin. Ich verliere die Orientierung und denke über die Psalmen nach. Und ich friere.

Schweigegebot am Morgen

Nach dem Morgengebet stehen wir Schlange vor der der surrenden Kaffeemaschine. Die Mönche holen sich Kaffee, mich beachten sie nicht. Das macht mich nervös. Als ich mich auf einen freien Stuhl setze, nicke ich den Mönchen links und rechts zu und frage mich, was unhöflicher ist: Einfach Kaffee trinken und die anderen nicht beachten oder das Schweigegebot brechen. Gottesdienst: Der Abt zieht in rotem Messgewand ein. Wir greifen zu den Gebetbüchern und singen, Choräle. Die Noten sind über die Silben geschrieben und eine Silbe umfasst manchmal mehr als sechs Noten.

Nach dem Gottesdienst trinke ich noch einen Kaffee, noch immer ist es viel zu früh für einen, der in der normalen Welt lebt. Ich gehe ein paar Schritte raus. Der Himmel ist mit Wolken bezogen, ich gehe immer weiter die Straße hinauf, hin zum anderen Kloster, jenem, das um die Höhle herum gebaut ist, in der der Heilige Benedikt jahrelang als Eremit lebte. In der Klosterbibliothek lese ich die Benediktregel. Vorher ziehe ich mir alles an, was ich mitgebracht habe, denn furchtbar kalt ist es: Zwei Polohemden übereinander, den Sommerpulli, den Kapuzenpulli, meine Jacke.

Mittagsgebet, dann Mittagessen. Schweigend gehen alle in den großen Speisesaal. Alle verharren stehend hinter ihren Stühlen, bis das Vaterunser gebetet ist. Ein Mönch serviert das Essen, ein anderer liest vor, aus der Kirchengeschichte. Dazu lade ich mir Spaghetti auf und gieße noch Olivenöl drüber, um garantiert satt zu werden. Gerne würde ich reden, aber das geht nicht. Dann trägt der Küchenmönch Fisch auf. Irgendwann klingelt es. Jetzt ist das Essen vorbei - auch wer nicht fertig ist, muss aufstehen.

Nach einem Mittagsschlaf entdecke ich eine Tür in den Klostergarten. Ein Feld mit Olivenbäumen erstreckt sich dahinter. Drei Mönche sehe ich spazierengehen, zwei mit Rosenkranz. Alle haben lange Wanderstäbe. Zur Vesper komme ich fast zu spät. Don Marco hat mir noch einen Wollpulli und Socken gegeben, beides ziehe ich mit Freuden an. Nun trage ich 15 Kleidungsstücke. Nach dem Abendessen folgt die so genannte "Rekreationszeit": Die einzig vergnüglichen Stunden in Gemeinschaft am Abend, zwischen Abendessen und Nachtgebet. Es gibt Schnaps. Don Marco und er unterhalten sich über die Wahl des richtigen Klosters. Don Marco sagt: "Du musst immer Kompromisse machen, das eine Kloster hat den Vorteil, das andere jenen. Es ist wie mit den Frauen."

Der letzte Akt des Kloster-Tages: "Compieta", Komplet. Ein Rosenkranzbeten. Auf meinem Platz in der ersten Reihe zweifle ich daran, ob ich die Geduld hätte, ein Mönch zu sein. Ich bewundere, mit welcher Demut diese Männer ihr immergleiches Leben führen. Zweifeln Mönche manchmal an ihrer Wahl? Dann, endlich auf dem Zimmer. Es ist halb zehn. Schlafenszeit. Um halb sechs klingelt der Wecker.

 Das Kloster der Benediktiner im italienischen Subiaco.

Das Kloster der Benediktiner im italienischen Subiaco.

 SZ-Autor Martin Zöller (links) beim Essen im Refektorium.

SZ-Autor Martin Zöller (links) beim Essen im Refektorium.

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