Bespitzelung? Die Amerikaner bleiben gelassen

Der „Nationale Donut Tag“ fällt immer auf den ersten Freitag im Juni. In diesem Jahr war es auch der Tag, an dem Edward Snowden den Spionageskandal der National Security Agency (NSA) enthüllte.

Doch am Tag danach verzeichnete Google in den USA mehr Suchanfragen zum Fettgebäck als zu "Prism". Obwohl bekannt wurde, dass mit der Software die E-Mail- und Chat-Kommunikation quasi direkt von Servern populärer Anbieter wie Microsoft, Yahoo oder Facebook mitgeschnitten wurde. Denn viele Amerikaner stören weder die Schnüffeleien bei diesen Hütern digitaler Datenschätze noch die gigantischen Vorratsspeicher ihrer Geheimdienste. Der Aufschrei blieb aus.

Bereits vor den Enthüllungen erklärten 85 Prozent aller Befragten einer Erhebung des renommierten "National Journal" zufolge, sie gingen davon aus, dass Regierung, Unternehmen und Einzelpersonen Zugriff auf ihre Kommunikations-Daten bei Telefon, E-Mail und Internet haben.

Ein Blick auf die geheime "Hitzekarte" der NSA verrät, dass die Amerikaner nicht weniger überwacht werden als Ausländer. Die Grafik aus dem Fundus des "Whistleblowers" Snowden markiert, wo intensiv geschnüffelt wird. Die Farbskala reicht von hellgrün (Kanada) bis dunkelrot (Iran). Deutschland taucht dunkelgelb auf, wie China und die USA selbst. Der Geheimdienst greift die Daten ab, wo sie anfallen: an wichtigen Knotenpunkten.

Die Amerikaner nehmen das anders als die Europäer mit einem Schulterzucken hin. Zum Teil hat das mit dem Trauma des 11. September zu tun. Teils aus berechtigter Sorge, teils aus Paranoia hat die Supermacht die Staatsräson dem Streben nach Sicherheit untergeordnet. Guantanamo, die Invasion im Irak, Folter von Verdächtigen und eine Total-Überwachung sind Beispiele dafür, wie Grundsätze und Grundrechte über Bord gingen.

Zugeschüttet mit Geld und Personal wuchs die NSA zu einem Kraken, der ein gefährliches Eigenleben führt. Im Namen der Nationalen Sicherheit entstanden in Washington 33 Neubauten, die zusammen drei Mal so groß sind wie das gesamte Pentagon-Gelände. Die "National Security Agency" allein beschäftigt 55 000 Mitarbeiter und hat einen jährlichen Etat von zuletzt rund 4,7 Milliarden Euro. Eine wirkliche Kontrolle durch den Kongress oder die Justiz findet nicht statt. Notfalls lügen die Geheimdienstler die Abgeordneten an. "Nein, Sir", antwortete der Direktor der Nationalen Geheimdienste, James Clapper, im März auf die Anfrage im Senat, ob Daten von Millionen Amerikanern gesammelt würden. Die Falschauskunft blieb bisher folgenlos. Wie auch das FISA-Gericht, das eigentlich die Geheimdienste überwachen soll, eine Farce ist. Es tagt geheim, hört nur die Argumente der Regierung und veröffentlicht seine Urteile nicht.

Präsident Barack Obama besserte an den Rändern nach, blieb aber weit hinter seinen Versprechen zurück für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Beim Schnüffeln seiner Geheimdienste ertappt, redete er sich mit einem Satz heraus, der von George W. Bush stammen könnte. 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre ohne Einschränkungen seien nicht zu machen. Die Amerikaner haben heute weder das eine noch das andere. Von den Anschlägen in Boston über den Times Square und den Amokläufer in Fort Hood bis hin zu dem Unterhosenbomber von Detroit - immer kamen FBI und Geheimdienste einen Schritt zu spät. Stattdessen entstand eine permanente Architektur der Überwachung, die Missbrauch Tor und Tür öffnet.

Bürgerrechtler fürchten, der Staat werde irgendwann nutzen, was er hat. Bald schon könnte jemand auf die Idee kommen, die Datenmengen auch für die Jagd nach Mördern einzusetzen. Warum dann nicht auch bei Kindesentführungen? Vielleicht, um eine Einbruch- oder Brandserie aufzuklären? Oder bei Drogen-Schmuggel oder Steuervergehen? Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts befürchten - oder?

Dieser Satz galt einmal als das Credo des perfekten Untertanen. Heute gilt es als "patriotisch", Grundrechte für mehr Sicherheit aufzugeben. Doch damit allein lässt sich das merkwürdige Desinteresse der Amerikaner nicht erklären. Tatsächlich kommt der Ruf nach Schutz der Privatsphäre vielen US-Bürgern wie ein Anachronismus vor, weil sie schon längst darauf verzichtet haben.

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