Bersani droht ein Scherbenhaufen

Rom. Pier Luigi Bersani wird häufig als Pragmatiker beschrieben. Diese Fähigkeit, ohne ideologische Scheuklappen Lösungen zu finden, könnte dem 61 Jahre alten Politiker aus der Nähe von Piacenza zugute kommen. Die Situation nach der Parlamentswahl in Italien ist denkbar kompliziert

Rom. Pier Luigi Bersani wird häufig als Pragmatiker beschrieben. Diese Fähigkeit, ohne ideologische Scheuklappen Lösungen zu finden, könnte dem 61 Jahre alten Politiker aus der Nähe von Piacenza zugute kommen. Die Situation nach der Parlamentswahl in Italien ist denkbar kompliziert. Der Spitzenkandidat von Italiens großer Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD) galt lange Zeit als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Nach dem Erfolg Silvio Berlusconis im Senat droht nun der parlamentarische Patt. Rasche Lösungen sind vorläufig in weite Ferne gerückt.Bersanis Aufgabe ist nun folgende: Der Sozialdemokrat, der vielen Beobachtern zufolge durchaus Führungsqualitäten besitzt, muss sich auf die Suche nach Mehrheiten machen, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen, etwa mit den Vertretern des Movimento-5-Stelle des Komikers Beppe Grillo. Andernfalls fällt Italien in die politische Starre zurück. Doch auch sein möglicher Koalitionspartner Mario Monti, dessen Bündnis schwach abschnitt, bezeichnete Bersani als "glaubwürdigen Kandidaten".

Der Pragmatiker aus der traditionell linken, aber reformfreundlichen Emilia-Romagna darf sich nun an die Lösung der Gretchenfrage der italienischen Politik wagen: Wie kann es gelingen, bei solch verfahrenen Mehrheitsverhältnissen eine Koalition zu bilden? Das Beispiel der zweiten Regierung unter Romano Prodi wirkt abschreckend. Sie zerbrach 2008 an ihrer Heterogenität. Vom Platz des sicheren Siegers ist Bersani nun plötzlich auf den Posten des orientierungslosen Matrosen gerückt. In den kommenden Tagen wird sich sein Verhandlungsgeschick zeigen. Als Minister für wirtschaftliche Entwicklung unter Ministerpräsident Prodi war ihm das bereits gelungen. Dort zeichnete er als Sozialdemokrat für die ersten Liberalisierungen, etwa im Apotheken-Wesen und bei Tankstellen verantwortlich.

Fraglich ist nun, ob der PD den negativen Effekt des Wahlergebnisses übersteht. Die italienische Linke ist bekannt für ihre Streitereien. In seiner Partei genoss Bersani nach dem deutlichen Sieg bei den Vorwahlen im Dezember lange Rückhalt. Den großen Vorsprung, den der PD noch vor Monaten in Umfragen hatte, ist jedoch dahingeschmolzen, auch weil Bersani das Talent Berlusconis zum Wahlkampf unterschätzte und zunächst nicht mit einer Kandidatur von Mario Monti rechnete. Der Parteisekretär des PD setzte auf Seriosität, ging aber im Konzert der Wahlversprechen unter.

Hier trumpfte Silvio Berlusconi auf, der den Wählern Steuererleichterungen en masse versprach. Hat das Patt auch über den Wahltag hin Bestand, könnte Bersani der große Verlierer der Wahl sein. Er hat den Vorsprung verspielt und könnte Verwalter eines Scherbenhaufens werden, in dem sich Parteifreunde gegenseitig für die Niederlage verantwortlich machen. Dass seine Partei im Fall von Neuwahlen die verlorenen Stimmen wieder aufholen kann, wirkt zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. jmm

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