Wahl in Italien Berlusconis neues Spiel um die Macht

Rom · In Italien zeichnet sich zwar keine klare Regierungsmehrheit ab. Die Partei des Ex-Premiers dürfte aber eine entscheidende Rolle spielen.

Paolo Gentiloni ist ein zurückhaltender Politiker. Fast den gesamten Wahlkampf über war vom italienischen Ministerpräsidenten kaum etwas zu hören. Der 63-Jährige wollte offenbar sein Profil des besonnenen Moderators nicht gefährden. Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Italien an diesem Sonntag wagte sich Gentiloni dann aber doch noch aus der Defensive: „Ich glaube, die Italiener würden bei mir einen Gebrauchtwagen kaufen“, behauptete der Premier und frühere Außenminister und versuchte auf diese Weise seinen Ruf als Zuverlässigkeit in Person zu untermalen. Die Metapher war insofern passend, als der Wahlkampf in Italien einem Wettstreit darüber glich, wer den Wählern die größten Versprechungen macht. Dass das Wenigste der angekündigten Maßnahmen auch wirklich umgesetzt werden kann, ist allen Beteiligten klar.

Ganz vorne im wochenlangen und teilweise unwirklichen Kräftemessen positionierten sich Ex-Premier Silvio Berlusconi (81) mit seiner Forza Italia und die systemkritische Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Beide wollen die milliardenschwere Pensionsreform von 2011 rückgängig machen und kündigen ein bedingungsloses Grundeinkommen an. Berlusconi versprach sogar einen einheitlichen Steuersatz von 23 Prozent einzuführen und führte sich auf, als seien die vergangenen zehn Jahre mit Sex-Skandalen, letztinstanzlicher Verurteilung wegen Steuerbetrugs und Ämterverbot nie geschehen. Aber Politiker bewegen sich in den von der Öffentlichkeit geduldeten Bahnen. Über den viermaligen Ex-Premier schütteln zwar viele den Kopf, ebenso viele Italiener wählen Berlusconi aber noch. Laut Umfragen kann seine Forza Italia am Sonntag mit 16 Prozent der Stimmen rechnen. Das genügt, um ein entscheidender Faktor im Hasard-Spiel um die Macht in Rom zu bleiben.

Mit beinahe doppelt so vielen Stimmen können die „Fünf Sterne“ und ihr 31-jähriger Spitzenkandidat Luigi Di Maio rechnen. Der zweifache Studienabbrecher und bisherige Vorsitzende des Abgeordnetenhauses stellte diese Woche bereits eine vor allem aus externen Spezialisten zusammen gesetzte Regierungsmannschaft vor, darunter Wirtschaftswissenschaftler, Juristen, ein Olympiasieger und ein General. Den Grillini wurden zuletzt bis zu 28 Prozent der Stimmen prognostiziert, die Bewegung gilt schon vor der Abstimmung als Wahlsieger. Die Frage ist, was die Fünf Sterne, die sich bis heute jeder Art von Koalition verweigerten, mit diesem Kapital anfangen werden. Di Maio stellt in Aussicht, nach der Wahl einige konkrete Programmpunkte zu präsentieren, bei deren Verwirklichung sich andere politische Kräfte beteiligen könnten. Selbstverständlich unter ausschließlicher Regie der Fünf Sterne. Ob sich Parteien finden, die sich auf solches Glatteis führen lassen wollen, ist fraglich.

Eine anderes denkbares Szenario ist der Sieg der Mitte-Rechts-Koalition aus Forza Italia, der fremdenfeindlichen Lega und der nationalistischen Kleinpartei „Brüder Italiens“, die am Sonntag die für das Erreichen einer Regierungsmehrheit notwendige 40-Prozent-Hürde nehmen könnte. Wenn das nicht passiert, rechnen Beobachter mit politischem Stillstand in Italien, der schließlich in Neuwahlen münden könnte. Der Lega von Parteichef Matteo Salvini wurden zuletzt etwa 15 Prozent der Stimmen vorhergesagt, die postfaschistischen „Brüder Italiens“ können mit rund fünf Prozent rechnen. Letzten Umfragen zufolge könnte es auch für Mitte-Rechts keine Mehrheit geben. Niemand würde es deshalb wundern, wenn das Bündnis noch am Wahlabend auseinander bräche. Berlusconi, der sich zum Oberhaupt der Wahlkoalition aufgeschwungen hat und gerne seinen Intimus, den EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani als Premier installieren würde, schwadronierte bereits davon, bei Neuwahlen in einem Jahr würde er dann selbst als Spitzenkandidat antreten. Bis dahin wäre sein Ämterverbot, das im Sommer 2019 endet, abgelaufen.

Science Fiction oder italienische Realität? Im Moment scheint vieles möglich südlich der Alpen. Was sich abzeichnet, ist eine absolute Mehrheit der EU-Skeptiker und -Gegner. Zwar fordert keines der populistischen Lager offen einen Austritt aus der Währungsunion. Fünf Sterne, Lega und „Brüder Italiens“ könnten zusammen aber an die 50-Prozent-Hürde kommen. Die Aussichten auf ein gemeinsames Regierungsbündnis bewerten Beobachter aber als gering. Ein Weiteres Novum in diesem Wahlkampf ist Berlusconis machtpolitisches Kunststück, eine Wahlkoalition mit den Rechtspopulisten eingegangen zu sein und sich gleichzeitig als Bändiger derselben zu präsentieren. Die EU-Spitzen in Brüssel halten den verurteilten Steuerbetrüger, der sich neuerdings als Garant gegen den Populismus aufspielt, für das kleinere Übel.

Möglicherweise führt an Berlusconis Forza Italia ab Montag tatsächlich kein Weg vorbei. Obwohl beide Lager eine erneute Kooperation ausgeschlossen haben, wäre es keine Überraschung, wenn Berlusconis gemäßigte Rechte sich letztlich doch mit dem wegen innerer Grabenkämpfe angeschlagenen Mitte-Links-Lager und der „Demokratischen Partei“ (PD) von Premier Gentiloni und Parteichef Matteo Renzi zusammen tun würde. Der Renzi-Partei wurden zuletzt rund 23 Prozent der Stimmen prognostiziert. Im Fall einer Großen Koalition all‘italiana wäre Premier Paolo Gentiloni einer der ersten Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten. Wie schrieb doch Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem 1958 posthum erschienen Roman „Il Gattopardo“? „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann muss sich alles ändern.“

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