Berlusconi triumphiert, bleibt aber angezählt

Rom. Rom am Dienstagnachmittag, die Sitzung des Abgeordnetenhauses ist schon seit drei Stunden beendet, doch noch immer sind die Gänge im Parlament voller Menschen, die meisten von ihnen tragen den Ausweis "16

 In der Nähe des italienischen Parlamentes kam es nach der Abstimmungen zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Berlusconi-Gegnern und der Polizei. 40 Menschen wurden verletzt. Foto: dpa

In der Nähe des italienischen Parlamentes kam es nach der Abstimmungen zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Berlusconi-Gegnern und der Polizei. 40 Menschen wurden verletzt. Foto: dpa

Rom. Rom am Dienstagnachmittag, die Sitzung des Abgeordnetenhauses ist schon seit drei Stunden beendet, doch noch immer sind die Gänge im Parlament voller Menschen, die meisten von ihnen tragen den Ausweis "16. Legislaturperiode" am Sakko - es sind die Parlamentarier, die darüber diskutieren, wie es Silvio Berlusconi noch einmal geschafft hat, seine Regierung über das Misstrauensvotum zu retten, und wie es weitergehen kann. Denn außer, dass es in Italien zunächst erst einmal nicht zu den 17. Parlamentswahlen nach dem Zweiten Weltkrieg kommen wird, ist recht wenig klar an diesem Tag.

Einige Stunden zuvor, in der Minute des Triumphs, fehlt Silvio Berlusconi in der Parlamentsaula: Als um 13.53 Uhr der Parlamentspräsident das Ergebnis der Abstimmung verkündet, sitzt er nicht in der Mitte der Regierungsbank. Will er den Triumph im Stillen genießen? Denn es ist ausgerechnet Gianfranco Fini, der ehemalige Weggefährte und jetzt erklärte Gegner Silvio Berlusconis, der als Parlamentspräsident das Ergebnis der Abstimmung vorlesen muss. Er nuschelt es, als wäre es eine Nebensächlichkeit: "627 Abgeordnete anwesend, 625 haben gewählt, 311 haben mit Ja gestimmt, 314 mit Nein." Der Misstrauensantrag ist gescheitert. In den Reihen der Regierungskoalition ziehen die Parlamentarier grün-weiß-rote italienische Fahnen aus den Taschen, wedeln mit ihnen herum und stimmen die Nationalhymne an. Dann skandieren sie in Richtung von Gianfranco Fini: "Di-mis-sioni, Di-mis-sioni", "Rücktritt, Rücktritt". Sie halten den Parlamentspräsidenten für einen Verräter.

So selbstbewusst das aussieht, als der Sieg klar ist, so unklar war noch im Verlauf des Vormittags, ob es Berlusconi schaffen würde. Gegen 10.30 Uhr beginnt die Sitzung im Abgeordnetenhaus. Als die Partei der Radikalen, bis zuletzt uneins über das Votum, ankündigt, für den Misstrauensantrag zu stimmen, schlägt Berlusconi die Hände zusammen, als wollte er sagen: "Das war's dann." Und als Antonio Di Pietro, Chef der Anti-Korruptions-Partei "Italien der Werte" den Ministerpräsidenten beschuldigt, im Vorfeld der Sitzung Abgeordnete gekauft zu haben, verlässt Berlusconi den Saal. Di Pietro verhöhnt ihn, live im Fernsehen übertragen, als "Flüchtling Berlusconi". In Solidarität verlassen alle Abgeordneten von Berlusconi die Aula, einige erscheinen sichtbar peinlich berührt. Es sieht nicht so aus, als könne Berlusconi unentschlossene Abgeordnete mit dieser Flucht aus dem Saal noch auf seine Seite ziehen.

Doch das Misstrauensvotum entscheidet sich im Elfmeterschießen, so zumindest mutet es an, denn als die Abgeordneten in der namentlichen Abstimmung nach vorne treten und ihre Stimme abgeben, beginnen die regierungstreuen Abgeordneten bei jedem "Nein" zu jubeln - vor allem, als drei vermeintliche Berlusconi-Verräter von "Zukunft und Freiheit für Italien" überraschend doch noch für den Ministerpräsidenten stimmen. Am Nachmittag heißt es, den drei seien Posten in der Regierung angeboten worden. Berlusconi hat derzeit einen Minister, einen Vize-Minister und drei Staatssekretäre neu zu besetzen.

Nach der Abstimmung können die Parlamentarier das Abgeordnetenhaus zunächst nicht verlassen, draußen liefern sich Demonstranten eine wilde Straßenschlacht mit der Polizei, viele Schaufenster gehen zu Bruch, Teile des historischen Zentrums von Rom werden verwüstet. Wie italienische Medien berichten, setzen die Randalierer unter anderem ein Fahrzeug der Stadtreinigung und ein Auto der Finanzpolizei in Brand, andere bewerfen die Beamten mit Eiern und Farbe. Die Polizei setzt Tränengas und Schlagstöcke ein. Mindestens 40 Menschen werden verletzt.

Hintergrund

In die Schlagzeilen geraten ist Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht nur wegen politischer Verdienste. Mit seinem großherzigen Einsatz für ein Partygirl sorgte Berlusconi im Oktober für Aufsehen. Der 74-Jährige soll eine junge Marokkanerin vor der Justiz bewahrt haben. Nach einem Erdbeben in den Abruzzen 2009 gab Berlusconi den in Zelten untergebrachten Opfern Empfehlungen der besonderen Art. "Man muss es eben nehmen wie ein Camping-Wochenende", sagte er bei einem Besuch in der Region. Bei der Katastrophe waren mehr als 290 Menschen ums Leben gekommen, 50 000 wurden obdachlos.

 In der Nähe des italienischen Parlamentes kam es nach der Abstimmungen zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Berlusconi-Gegnern und der Polizei. 40 Menschen wurden verletzt. Foto: dpa

In der Nähe des italienischen Parlamentes kam es nach der Abstimmungen zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Berlusconi-Gegnern und der Polizei. 40 Menschen wurden verletzt. Foto: dpa

Als Kandidatinnen der Regierungspartei für die Europawahl 2009 schlug Berlusconi drei blutjunge Schönheiten vor: eine ehemalige TV-Ansagerin, eine Fernsehschauspielerin und eine Sängerin. Seine Ehefrau Veronica Lario reichte 2009 die Scheidung ein. Eine angebliche Affäre mit der Schülerin Noemi Letizia hatte schon zuvor für Aufsehen gesorgt. dpa

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Was schenken?Alle Jahre wieder ein paar Geschenketipps aus der Redaktion, zwischen Idealistisch-Handgemachtem und schnödem Konsum, zwischen literarischer Hochkultur und Kochbüchern, Schokopulver zum Inhalieren und einem Kissen in Blutflecken-Form.
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