Berlin rüstet auf - und sperrt ab"Belastung ist auf Dauer nicht tragbar"

Berlin. Im sonst so hektischen Regierungsviertel ist es ungewöhnlich ruhig. Es herrscht wenig Verkehr, nicht allzu viele Touristen haben sich an diesem tristen Novembertag dorthin verirrt

Berlin. Im sonst so hektischen Regierungsviertel ist es ungewöhnlich ruhig. Es herrscht wenig Verkehr, nicht allzu viele Touristen haben sich an diesem tristen Novembertag dorthin verirrt. An allen neuralgischen Punkten zwischen Reichstag, Kanzleramt und Hauptbahnhof stehen jetzt Polizeifahrzeuge, schwer bewaffnete Beamte patrouillieren und kontrollieren die Zufahrtstraßen, die sonst in den Boden eingelassenen Poller vor den Regierungsgebäuden sind hochgefahren. Zusätzlich sind Bundestag, Kanzleramt und auch der direkt an der Spree liegende Parlamentskindergarten mit Absperrgittern geschützt. Die Hauptstadt ist in Alarmbereitschaft - aus Angst vor dem Terror verwandelt sich Berlin zusehends in eine Festung.

Niemand weiß, wann und wo islamistische Terroristen zuschlagen werden; und ob es überhaupt zu einem Anschlag kommen wird. Laut Innenminister Thomas de Maizière (CDU) beginnt jedoch Ende November eine kritische Phase. Deshalb hat Berlin über Nacht aufgerüstet, speziell dort, wo Experten mögliche Ziele vermuten. Am Reichstag zum Beispiel: Zutritt haben nur noch Personen mit Hausausweis oder angemeldete Besucher. Die Kuppel, sonst ein Touristenmagnet, ist geschlossen worden. Die Sicherheitskräfte seien höchst alarmiert, heißt es. Nicht zuletzt deshalb, weil im Bundestag die Haushaltswoche ansteht - so wird morgen die komplette Bundesregierung im Reichstag sein.

Unweit des Parlaments und direkt am Brandenburger Tor liegt das Hotel Adlon. Es ähnelt dem Luxushotel Taj Mahal in Mumbai, in dem vor zwei Jahren islamistische Terroristen ein Blutbad anrichteten. Im Adlon weiß man um die erhöhte Gefahrenstufe: Die Geschäftsführung stehe in "engem und kontinuierlichem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden sowie den zuständigen Ministerien", teilt eine Sprecherin auf Nachfrage mit. Die Maßnahmen wurden verstärkt und die Mitarbeiter zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Vor dem Gebäude weist aber nichts daraufhin, dass eine besondere Gefährdung besteht.

Das Kaufhaus des Westens, kurz KaDeWe genannt, liegt nahe dem Kudamm. Es ist der symbolträchtigste Einkaufstempel der Hauptstadt, bis zu 180 000 Kunden aus aller Welt kaufen dort täglich ein. Viele Menschen bestaunen gerade die pompöse Weihnachtsdekoration im Eingangsbereich. Kaum zu bemerken ist, dass auch im KaDeWe die Sicherheit verstärkt wurde. Die Gepäckaufbewahrung nimmt aus Angst vor Bomben nun keine größeren Gepäckstücke mehr an, Tüten werden gründlich durchleuchtet. Viele der bummelnden Menschen wollen sich aber nicht verunsichern lassen. Es herrscht Gedränge wie immer.

Rund 50 Weihnachtsmärkte haben in Berlin jetzt die Tore geöffnet - viele davon an prominenten Orten: am Potsdamer Platz, an der Staatsoper, vor dem Charlottenburger Schloss. Tausende Menschen drängen sich dort täglich entlang der Stände. Händlern und Mitarbeitern wurde eingeimpft, verdächtige Gegenstände sofort zu melden. Auch an U- und S-Bahnhöfen werden Passagiere über Anzeigetafeln zur Wachsamkeit aufgerufen. Wann der Spuk vorbei ist? Keiner weiß es.Wie lange kann die Polizei diesen Alarmzustand durchhalten?

Bosbach: Wir können noch keinen festen Zeitpunkt nennen, wann die Sicherheitsmaßnahmen wieder auf Normalmaß zurückgefahren werden können. Aber auf Dauer ist so eine Belastung natürlich nicht tragbar.

Müssen nicht Bund und Länder jetzt aufhören, an der Polizei zu sparen?

Bosbach: Der Bund hat seine Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren deutlich aufgestockt. Die Kritik der SPD an dem angeblichen Abbau von 740 Stellen bei der Bundespolizei liegt neben der Sache. Diese 740 Stellen sind der Ausgleich für eine Ausweitung der Dienstzeiten, ändern also an der Präsenz der Bundespolizei nichts. Und für die Verbesserung der Luftsicherheit hat der Bund gerade 650 zusätzliche Stellen bereitgestellt. In vielen Bundesländern hat es dagegen in den letzten Jahren einen nicht unerheblichen Personalabbau bei der Polizei gegeben. Hier setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass man der Polizei nicht immer neue Belastungen zumuten und gleichzeitig an ihr sparen kann.

Reicht die Ausbildung der Polizisten, um einer Bedrohung, wie sie jetzt vermutet wird, zu begegnen?

Bosbach: Die Sicherheitsbehörden sind gut aufgestellt. Wir haben aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit gelernt und die Anschläge in anderen Ländern sorgsam ausgewertet. Aber es gibt hier und da auch noch Nachholbedarf. Dazu zähle ich vor allem die Einführung eines abhörsicheren, flächendeckenden Digitalfunks.

Darüber wird schon lange geredet.

Bosbach: Es sollte eigentlich zur Fußball-WM 2006 fertig sein. Wir sind schon lange im Verzug. Jetzt müssen flächendeckend Basisstationen aufgebaut werden, aber an vielen Orten, wo die Masten errichtet werden sollen, regt sich Widerstand. Ich bin der Meinung, dass es angesichts der Bedrohungslage gelingen muss, den neuen Digitalfunk so schnell wie möglich in Betrieb zu nehmen, spätestens bis Ende nächsten Jahres. Denn in vielen Bundesländern wird mit Blick auf die neue Technik schon seit Jahren nicht mehr in den traditionellen Analog-Funk investiert.

Hintergrund

Wegen der Terrorwarnungen hat die Bundespolizei im Saarland die Sicherheitsmaßnahmen weiter verschärft. "Wir führen verstärkt verdeckte Kontrollen durch", sagte ein Sprecher auf SZ-Anfrage. Dies gelte besonders für Züge Richtung Frankfurt. An den Grenzen, etwa an der Goldenen Bremm in Saarbrücken, werde in gewohntem Maße stichprobenartig kontrolliert. Auch am Flughafen Ensheim und am Saarbrücker Bahnhof seien bis auf Weiteres schwer bewaffnete Polizisten im Einsatz. tho

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