Belgien droht endgültig die Spaltung

Brüssel. "Wir müssen uns auf das Ende Belgiens vorbereiten." Seit vielen Jahren schwebt die Spaltung des Zehn-Millionen-Landes durch die Köpfe. Mit Laurette Onkelinx hat jetzt erstmals ein amtierendes und noch dazu französischsprachiges Regierungsmitglied offen ausgesprochen, dass der Albtraum wahr werden könnte. "Wir steuern auf eine Trennung zu

Brüssel. "Wir müssen uns auf das Ende Belgiens vorbereiten." Seit vielen Jahren schwebt die Spaltung des Zehn-Millionen-Landes durch die Köpfe. Mit Laurette Onkelinx hat jetzt erstmals ein amtierendes und noch dazu französischsprachiges Regierungsmitglied offen ausgesprochen, dass der Albtraum wahr werden könnte. "Wir steuern auf eine Trennung zu." Die Hoffnung, aus der Krise nach den vorgezogenen Neuwahlen vor 85 Tagen doch noch einen Ausweg zu finden, hat sich am Wochenende zerschlagen. Der so genannte Vermittler, der Chef der wallonischen Sozialisten Elio di Rupo, gab binnen weniger Tage zum zweiten Mal den Auftrag, ein Bündnis zu schmieden, zurück. Nun aber endgültig. Dabei war man sich schon nahe gekommen: 16 Milliarden Euro wollten die Vertreter der sieben möglichen Koalitionspartner den Regionen zur Selbstverwaltung überlassen. Die umstrittene Hauptstadtregion Brüssel mit ihren flämischen Vororten Halle und Vilvoorde sollte zerschlagen werden, die Kapitale selbst mehr Geld zum Überleben bekommen. Doch der Wahlsieger vom 13. Juni, Flanderns Separatisten-Chef (N-VA) Bart de Wever, sagte Nein. Zu wenig. Und er warf Belgien damit wieder zurück in die politische Steinzeit. Zwar bemühte sich das Staatsoberhaupt, König Albert II., sofort, durch die Benennung zweier neuer Vermittler den Eindruck von Normalität zu erwecken. Doch die Wahl fiel auf den flämischen N-VA-Vertreter Danny Pieters, der als radikaler Nationalist gilt, sowie auf den Wallonen André Flahaut von den Sozialisten, der fertigbringen soll, woran sein Parteichef zuvor gescheitert war. "Aussichtslos", kommentierten belgische Medien gestern. "Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft in Frieden zusammenleben können", sagte di Rupo, als er am Wochenende seinen Job zurückgab. Derweil gehen im Hintergrund längst die Planspiele für ein geteiltes Land weiter: Flandern würde wohl autonom versuchen, über die Runden zu kommen. Die Französisch sprechenden Wallonen im Süden bräuchten einen starken Partner, den sie in Frankreich finden könnten. Die vergleichsweise kleine deutschsprachige Gemeinschaft an der Grenze zur Bundesrepublik würde ihr Heil gerne in den Armen Luxemburgs suchen. Brüssel dürfte dann, so heißt es, mit einem ähnlichen Status wie Washington D.C. als eigenständige Region und europäische Zentrale weiter existieren. Nur was aus dem Königshaus werden würde, weiß niemand so Recht: Albert II., laut eigener Amtsbeschreibung "König aller Belgier", kämen die Untertanen abhanden. Aber selbst für diesen Weg bräuchte man zunächst eine Einigung, die gestern nicht erkennbar war. Denn dafür müssten sich die Wahlgewinner - die N-VA-Nationalisten aus Flandern und die Sozialisten aus der Wallonie - mit den anderen Parteien verständigen. Solange die einen jedoch möglichst Unabhängigkeit und die anderen möglichst viel Milliardentransfers wollen, führt da kein Weg hin. Meinung

Hoher Preis für Experimente

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes Holland ist nicht Belgien und die beiden Wahlsieger mit ihren populistisch-nationalistischen Botschaften haben kaum etwas gemein. Und doch stecken beide Länder in einer gleichgestrickten Regierungskrise, die sie den erstarkten Polit-Außenseitern verdanken: Bart de Wever träumt von einem autonomen Flandern, Geert Wilders von den islamfreien Niederlanden. Die Wähler in beiden Staaten haben den bislang Regierenden großer Volksparteien die Rote Karte gezeigt. Ohne die extremen Parteien gibt es nun keine Regierung. Mit ihnen aber auch nicht. Wie im Brennglas können die Nachbarn nun studieren, was passiert, wenn der Schwund der Großparteien sich fortsetzt. Dass die Aufsplittung der Wählerstimmen am Ende auch ein Land selbst bedrohen kann, belegt die Situation Belgiens.Der Preis für politische Versuche ist hoch. Bei aller berechtigten Kritik an amtierenden Führungsfiguren.

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