Beim Erben sind nicht alle gleich

Karlsruhe · Ein Großteil der Erben aus der Wirtschaft zahlt keine Steuern auf seine Erbschaft. Das finden Regierung und Wirtschaft gerecht. Das Bundesverfassungsgericht prüft jetzt die Regelung und äußert erste Zweifel.

Vor dem Tod sind alle gleich - beim Erben nicht: Diesen Satz könnte man uneingeschränkt auf die steuerliche Situation von Erben übertragen. Denn wer Betriebsvermögen erbt, muss unter bestimmten Umständen kaum bis gar keine Steuern zahlen. Bei Privatvermögen sieht das ganz anders aus. Ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist, prüft seit gestern das Bundesverfassungsgericht . Worum es geht, machte der Vorsitzende Richter Ferdinand Kirchhof in einem skeptischen Satz deutlich: "Die erheblichen Privilegierungen sind unbestritten. Damit dies nicht verfassungswidrig ist, muss es dafür eine Rechtfertigung geben." Gerade im zweiten Teil der Verhandlung ließen die Karlsruher Richter erhebliche Zweifel an den Regelungen erkennen.

Laut Bundesfinanzministerium gingen dem Fiskus durch die "Verschonungsregelungen" für Betriebsvermögen von 2009 bis 2012 rund 19 Milliarden Euro verloren. Die Unternehmen waren sich mit der Regierung dennoch einig: Die Benachteiligung von Privat erben ist richtig und gerechtfertigt. Derzeit zahlen nur wenige die Erbschaftssteuer, das dann aber ordentlich. Aber: Ohne Bevorzugung der Firmenvermögen würden Arbeitsplätze verloren gehen, Unternehmen könnten nicht mehr investieren, lautete unisono die Aussage von Regierungs- wie Wirtschaftsvertretern. Das gefährde den Wirtschaftsstandort Deutschland. Diese Aussagen könnte man verkürzt auf den Slogan bringen: Alles in Ordnung - bitte keine Reform! Finanz-Staatssekretär Michael Meister (CDU ) sprach sich zudem ausdrücklich gegen Überlegungen aus, alle Erben zu besteuern, das dann aber moderat. Diese Idee hatte die Richter sehr interessiert.

"Es galt, die Arbeitsplatzbeschaffer in der deutschen Wirtschaft nicht weiter zu belasten", sagte Meister über das seit 2009 geltende Gesetz. Über 90 Prozent der Firmen in Deutschland seien Familienunternehmen ; dort arbeiteten 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer. Entscheidend müsse daher sein, was die Steuervergünstigungen zum Erhalt dieser Arbeitsplätze beitragen. Auch die Wirtschaftsverbände waren vorbereitet. "43 Prozent der Familienunternehmen hätten ohne die Privilegierung Teile ihrer Firma verkaufen müssen", sagte etwa Rainer Kirchdörfer von der Stiftung Familienunternehmen . Selbst bei einer geringen Steuer müsste ein Viertel der Firmen Kredite aufnehmen, sagte Peer Robin Paulus vom Verband "Die Familienunternehmer". Dem Ansinnen von Lobbyisten, auch Einzelschicksale zu schildern, erteilte Richter Kirchhof jedoch eine klare Absage: "Konkrete Fälle brauchen wir nicht."

Eine internationale Einordnung lieferte Christoph Spengel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): Viele europäische Länder hätten zwar auch Vergünstigungen beim Erben - in Deutschland seien diese aber "besonders großzügig" ausgefallen.

Aus dem Auge gerieten bei all den Zahlen und der Fachsimpelei über die Finanzstrukturen von Dax-Firmen und kleinen Familienunternehmen diejenigen, die die Steuer zahlen müssen. Denn die Erben von Privatvermögen leisten vor allem die etwa 4,5 Milliarden Euro Erbschaftssteuer pro Jahr, die den Ländern zugutekommen.

Zahler sind vor allem diejenigen, die Geld oder Aktienpakete bis zu einer bestimmten Anteilshöhe erben. Für sie waren keine Interessenverbände unterwegs. Einen Fürsprecher aber hatten sie doch: "Das war ja eine beeindruckende Familienunternehmens-Prosa", kommentierte spöttisch Roman Seer von der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, als die Verbände vorgetragen hatten. Es müssten doch auch diejenigen gehört werden, die die Steuern zahlen, und gefragt werden, was sie deswegen an Investitionen nicht vornehmen könnten - und welche Effekte das für die Wirtschaft habe. "Das können wir ja vielleicht am Nachmittag erörtern." Doch da wollten die Richter in die Tiefen des Verfassungsrechts abtauchen.

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HintergrundDie Erbschaftsteuer-Reform von 2009:Regel: Unternehmen werden zu 85 Prozent steuerlich begünstigt, wenn der Anteil des Verwaltungsvermögens 50 Prozent nicht übersteigt. Verwaltungsvermögen ist Vermögen, das nicht der Betriebsführung dient. Auch darf die Lohnsumme innerhalb von fünf Jahren einen bestimmten Wert nicht unterschreiten. Dies gilt nur für Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern. Das vererbte Unternehmen darf zudem fünf Jahre lang nicht weiterverkauft werden.Option: Die Steuer kann auch komplett entfallen, wenn der Anteil des Verwaltungsvermögens zehn Prozent nicht übersteigt und das Unternehmen sieben Jahre lang nicht weiterverkauft wird. dpa

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