Beichte vor blutroter Kulisse

Der Weg führt ihn durch den Keller. Bundespräsident Christian Wulff rauscht mit seiner Fahrzeugkolonne um 16.55 Uhr auf den Hof des ARD-Hauptstadtstudios, er muss von der Tiefgarage aus eine Hintertür nehmen, weil der Haupteingang wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Von ganz unten wieder nach ganz oben, das ist jetzt auch Wulffs Hoffnung für sich und sein Amt

 Lang erwartete Erklärung vor den Fernsehkameras der Öffentlich-Rechtlichen: Bundespräsident Christian Wulff im Gespräch mit den Moderatoren Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF). Foto: Denzel/dpa

Lang erwartete Erklärung vor den Fernsehkameras der Öffentlich-Rechtlichen: Bundespräsident Christian Wulff im Gespräch mit den Moderatoren Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF). Foto: Denzel/dpa

Der Weg führt ihn durch den Keller. Bundespräsident Christian Wulff rauscht mit seiner Fahrzeugkolonne um 16.55 Uhr auf den Hof des ARD-Hauptstadtstudios, er muss von der Tiefgarage aus eine Hintertür nehmen, weil der Haupteingang wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Von ganz unten wieder nach ganz oben, das ist jetzt auch Wulffs Hoffnung für sich und sein Amt. Der Präsident sitzt bei seiner Ankunft betont locker und leicht lächelnd auf dem Rücksitz seiner gepanzerten Limousine, er trägt kein Sakko. Ein blütenweißes, reines Hemd ist zu sehen. Als ob Wulff den vielen Fotografen und Kameraleuten am Hoftor seine weiße Weste zeigen möchte - vor dem womöglich wichtigsten Interview seiner Karriere.

Geheimhalten ist nicht möglich

Das Bundespräsidialamt hätte am liebsten verhindert, dass die vorfahrenden Limousinen gefilmt werden. Geheimhalten lässt sich der Schauplatz des Interviews im geschwätzigen Berlin aber nicht.

Wulff wird in der ARD begrüßt, es gibt eine kurze Besprechung, dann Maske, noch ein Glas Wasser. Alle Fragen sind oben im vierten Stock des Hauptstadtstudios erlaubt, es hat keine Vorgaben des Präsidenten gegeben, heißt es. Gleich Wulffs erste Antwort soll den Deutschen klarmachen - dieser Bundespräsident will nicht weichen. "Nein", sagt Wulff, als er gefragt wird, ob er in den letzten Tagen an Rücktritt gedacht habe. Er wolle nach fünf Jahren ein Bilanz vorlegen, "dass ich ein guter Bundespräsident war". Seine Stimme klingt bei diesen Worten belegt, immer wieder knetet Wulff die Hände. Einmal greift er zum Wasserglas.

Erst am Mittwochmorgen hat er seinen Weihnachtsurlaub beendet und ist ins Schloss Bellevue zurückgekehrt. Sein erster offizieller Termin wäre der Empfang der Sternsinger am morgigen Freitag. Dafür haben sich bereits ungewöhnlich viele Medienvertreter angemeldet. Doch die Zeit bis dahin mit öffentlichem Schweigen zu verbringen, grenzt an ein Ding der Unmöglichkeit. Der Druck auf Wulff wird immer stärker. Nicht nur, dass mit Vera Lengsfeld erstmals eine CDU-Politikerin seinen Rücktritt verlangt. Die Opposition schießt jetzt ebenfalls aus allen Rohren, nachdem sie Wochen lang zahm geblieben war. Auch das Presse-Echo ist einmal mehr verheerend. Viele Kommentatoren sehen die Bundeskanzlerin in der Pflicht, auf Wulff endlich einzuwirken.

Merkels indirekte Aufforderung

Angela Merkel ist da schon längst in Aktion. Ihr Sprecher Georg Streiter erklärt am Mittag, er wisse es zwar nicht, gehe aber davon aus, dass Merkel mit Wulff wegen dessen Drohanruf beim "Bild"-Chefredakteur in Kontakt stehe, so Streiter. Dann sagt er doch noch einen aufschlussreichen Satz über Merkels Intervention bei Wulff: "Die Bundeskanzlerin geht davon aus, dass er sich erklärt." Das kann man getrost als Aufforderung verstehen. Und sie habe "volles Vertrauen" darin, dass Wulff "alle anstehenden Fragen umfassend beantworten wird". Das ist die Warnung, jetzt keine Lücken mehr zu lassen. Ein Ultimatum.

Fast zeitgleich erreicht die Redaktionen die Meldung, wonach sich der Bundespräsident in einem gemeinsamen Interview mit ARD und ZDF den Fragen von zwei Journalisten stellen will.

Blutrot ist ein Teil der Kulisse des Studios, in dem Wulff dann am frühen Abend sitzt. Wer glaubt, dass der Präsident zur politischen Schlachtbank geführt wird, sieht sich jedoch sofort getäuscht. Auch hartnäckige Nachfragen versucht Wulff sachlich zu kontern. Er bleibt äußerlich ruhig und wirbt um Verständnis für sich. Ob seine Drohung via Mailbox nicht eines Präsidenten unwürdig sei, wird er gefragt. "Der Anruf war ein schwerer Fehler", antwortet Wulff zerknirscht, "der mir leid tut, für den ich mich entschuldige". Er habe sich offenkundig "eher als Opfer" gesehen.

Wieder eine Entschuldigung des Präsidenten, es ist die zweite innerhalb von zwei Wochen. Wulff betont noch, er müsse sein Verhältnis zu den Medien neu ordnen. Das gilt aus seiner Sicht aber nicht für seine Beziehung zu seinen Unternehmerfreuden, in deren Häusern er mehrfach Urlaub gemacht hat und von denen einer ihm auch seinen umstrittenen Hauskredit ermöglichte. Dazu steht er. "Es gibt auch Menschenrechte selbst für Bundespräsidenten. Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo man sich von Freunden kein Geld mehr leihen kann." Er wisse, dass er nicht Unrechtes getan habe. Aber auch nicht alles richtig gemacht hat. Dann zitiert er die Bibel: "Wer von euch ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein."

Rund 25 Minuten dauert das Gespräch. Beim Abspann dreht sich Wulff um und blickt kurz in die Kamera, zu den Zuschauern an den Bildschirmen da draußen. Die ARD verlässt er wieder durch den Keller. "Der Anruf bei

dem Chefredakteur der ,Bild'-Zeitung war ein schwerer Fehler, der mir

leid tut, für den ich mich entschuldige."

Wulff zu den Vorwürfen,

der Presse einen Maulkorb erteilen zu wollen

"Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann."

Wulff über die Beziehung

zu seinen

Unternehmer-Freunden

"Wir müssen alle hohe Ansprüche haben in dem Wissen, dass wir alle fehlbar sind."

Wulff an die Adresse

 Lang erwartete Erklärung vor den Fernsehkameras der Öffentlich-Rechtlichen: Bundespräsident Christian Wulff im Gespräch mit den Moderatoren Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF). Foto: Denzel/dpa

Lang erwartete Erklärung vor den Fernsehkameras der Öffentlich-Rechtlichen: Bundespräsident Christian Wulff im Gespräch mit den Moderatoren Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF). Foto: Denzel/dpa

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