Behörden-Segen für Atomkraftwerke

Paris. Stresstest bestanden: Das zumindest bescheinigt die französische Atomaufsichtsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) den 58 Atomreaktoren in einem Gutachten. Alle seien ausreichend sicher und könnten ohne Bedenken weiterbetrieben werden

Paris. Stresstest bestanden: Das zumindest bescheinigt die französische Atomaufsichtsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) den 58 Atomreaktoren in einem Gutachten. Alle seien ausreichend sicher und könnten ohne Bedenken weiterbetrieben werden. Kein einziges Kraftwerk, auch nicht die älteste Atomanlage des Landes im elsässischen Fessenheim am Rhein, müsse stillgelegt werden.Allerdings forderte die ASN so schnell wie möglich milliardenschwere Nachbesserungen, damit die Atomkraftwerke auch für Extremfälle wie Erdbeben gerüstet sind. Neben zusätzlichen Hilfsaggregaten, weiteren Not-Wasserreserven und Betonverstärkungen verlangt die ASN eine schnelle Atom-Einsatztruppe, die innerhalb von 24 Stunden an einem Unglücksort aktiv werden soll. Sie soll bis Ende 2014 einsatzbereit sein.

Zudem will die ASN, dass die in den Anlagen eingesetzten Subunternehmen verstärkt kontrolliert werden müssten. ASN-Chef André-Claude Lacoste bezifferte die Kosten zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen auf mehrere dutzend Milliarden Euro.

Frankreichs Regierung hatte die Atomaufsichtsbehörde kurz nach der Katastrophe von Fukushima im März beauftragt, die 58 Reaktoren des Landes sowie den im Bau befindlichen Druckwasserreaktor EPR und die Brennstab-Fabriken Stresstests zu unterziehen. Das Land ist der weltweit zweitgrößte Betreiber von Atomkraftanlagen nach den USA und bezieht mehr als 75 Prozent seines Stroms aus den von EDF betriebenen Reaktoren. Zweifelten Franzosen lange Zeit nicht an der Sicherheit der Nuklearindustrie, so regt sich seit einigen Jahren verstärkt Kritik. Diese Tendenz wurde durch Fukushima zusätzlich verstärkt. So dürfte das Thema auch bei den im Frühjahr anstehenden Präsidentschaftswahlen eine wichtige Rolle spielen, da Sozialisten und die Grünen ein Abkommen getroffen haben, bei einem Wahlsieg der Sozialisten zumindest einen Teil der Atomkraftwerke abzuschalten.

Präsident Nicolas Sarkozy setzt sich dagegen ausdrücklich für die Nuklearindustrie ein. Premierminister François Fillon forderte nun die Regierung auf, darauf zu achten, dass die Betreiber der Atomkraftanlagen den Forderungen der ASN nachkommen. Industrie- und Energieminister Eric Besson will am 9. Januar Vertreter von EDF, dem Atomkonzern Areva und dem Kommissariat für Atomenergie treffen, um mit ihnen den Zeitplan zur Umsetzung der Verbesserungen festzulegen. Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet hatte im Vorfeld des Berichts nicht ausgeschlossen, dass das Atomkraftwerk Fessenheim stillgelegt wird, sollten sich die erforderlichen Zusatzmaßnahmen als zu teuer erweisen. Die aus zwei 900 Megawatt-Reaktoren bestehende Anlage ging 1978 in Betrieb und liegt nur wenige Kilometer von der deutschen und schweizerischen Grenze entfernt. Während Atomkraftgegner aus den drei Ländern seit längerem eine Stilllegung fordern, wollen die Bewohner von Fessenheim selber nichts davon wissen.

Die Gegner kritisieren, dass die Betonplatte unter dem Reaktor 1 nur anderthalb Meter dick ist und bei einem Unfall mit Kernschmelze bersten und den Rhein verseuchen könnte. Das Risiko eines Deichbruchs in Fessenheim sei von der ASN nicht untersucht worden, kritisierte der Physiker und Atomkraftgegner Jean-Marie Brom nun. "Ich bezweifle die Unabhängigkeit des ASN", sagte er gestern. Auch die Anti-Atomkraftbewegung "Sortir du Nucléaire" bemängelte, dass die Atomaufsichtsbehörde der Regierung unterstehe und damit nicht unabhängig sei. "Ich bezweifle die Unabhängigkeit der Atombehörde."

Jean-Marie Brom, französischer Atomkraftgegner

und Physiker

Hintergrund

Scharfe Kritik am Bericht der französischen Atomaufsichtsbehörde ASN hat die saarländische Umweltministerin Simone Peter geübt. "Das Urteil der ASN, wonach alle 58 französischen Atomreaktoren eine ausreichende Sicherheit auf weisen und weiterbetrieben werden können, kann nicht von Sicherheitsinteressen geleitet sein", erklärte die Ministerin. Anders könne sie sich den "Persilschein für alle Atomreaktoren, darunter auch altersschwache und sicherheitsgefährdende wie Fessenheim und Cattenom" nicht vorstellen. Der Stresstest beleuchte nur einen bestimmten Ausschnitt der Sicherheitsphilosophie von AKW. Daraus könne keineswegs deren Sicherheit abgeleitet werden. ine

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