"Behinderung ist ein Merkmal unter vielen" Drei Gesetzentwürfe zur PID stehen heute im Bundestag zur Debatte

Das Verbot: Gegen eine Zulassung der Gentests an Embryonen aus künstlicher Befruchtung wendet sich ein Gesetzentwurf, den 192 Abgeordnete eingebracht haben. Dazu zählen Unionsfraktionschef Volker Kauder, Grünen-Gesundheitsexpertin Birgitt Bender und die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich für ein Verbot ausgesprochen

Das Verbot: Gegen eine Zulassung der Gentests an Embryonen aus künstlicher Befruchtung wendet sich ein Gesetzentwurf, den 192 Abgeordnete eingebracht haben. Dazu zählen Unionsfraktionschef Volker Kauder, Grünen-Gesundheitsexpertin Birgitt Bender und die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich für ein Verbot ausgesprochen. Die Befürworter eines Verbots argumentieren, die gezielte Auswahl und das Verwerfen von Embryonen verletze die Menschenwürde und auch das Recht auf Leben und Gleichberechtigung. Die Gesellschaft dürfe nicht vorschreiben, welches Leben sich entwickeln dürfe und welches nicht. Die begrenzte Zulassung: Prominente Befürworter einer Zulassung mit Auflagen sind der CDU-Politiker Peter Hintze, die FDP-Gesundheitsexpertin Ulrike Flach und die SPD-Fachfrau Carola Reimann. Insgesamt stehen 215 Abgeordnete hinter diesem Gesetzentwurf. Danach soll die PID nur in zwei Fällen erlaubt sein: Wenn die Eltern von einer schweren erblichen Vorbelastung wissen oder wenn eine Tod- oder Fehlgeburt droht. In diesen Fällen sei die PID eine humane Alternative zur Pränataldiagnostik - also Untersuchungen am Embryo oder am Fruchtwasser nach Beginn der Schwangerschaft, die bei Feststellen einer Behinderung zur Abtreibung führen können. Der Kompromiss: Als Kompromisslinie schlägt eine dritte Gruppe von Abgeordneten um den SPD-Politiker René Röspel und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) Folgendes vor: Die PID soll grundsätzlich verboten bleiben - mit Ausnahmen für Paare mit einer "genetischen Disposition" für Tot- und Fehlgeburten. Jeder Einzelfall soll von einer Ethikkommission begutachtet werden. Nur ein Behandlungszentrum soll sich auf die PID spezialisieren. Dieser Vorschlag hat laut Bundestag 36 Unterstützer. dapdFrankfurt. Mit Medizinethik beschäftigt sich Christian Papadopoulos schon lange. Sie war Thema seiner Magisterarbeit. Sie ist sein Lebensthema. Der 38-Jährige hat die ererbte fortschreitende Muskelerkrankung Muskeldystrophie, sitzt im Rollstuhl, wird beatmet, benötigt Hilfe bei vielen alltäglichen Dingen. "Eine Behinderung - das muss doch heutzutage nicht mehr sein!" Vor solchen Sätzen hat er Angst.

Die aktuelle Diskussion um Gentests an Embryonen macht ihm klar: Wäre damals die Präimplantationsdiagnostik (PID) möglich gewesen, würde es ihn heute vielleicht nicht geben. Bei der PID wird ein durch künstliche Befruchtung gezeugter Embryo auf bestimmte Erbkrankheiten untersucht. Nur wenn die Erbanlagen zu diesen Krankheiten nicht vorliegen, wird er in die Gebärmutter eingesetzt. Die Debatte, ob diese Praxis erlaubt oder verboten werden sollte, geht quer durch die Gesellschaft und alle politischen Parteien. Selbst Betroffenenverbände und Kirchen können sich häufig nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme zusammenfinden.

Papadopoulos wehrt sich dagegen, wenn Behinderung mit Leiden gleichgesetzt wird. Er leidet nicht, sagt er. "Meine Behinderung ist ein Merkmal unter vielen." Der Soziologe aus Bonn ist verheiratet, hat einen Job, der ihm Spaß macht, engagiert sich ehrenamtlich: "Es geht mir wirklich gut", sagt er bestimmt.

Gesa Boreks Stimme klingt müde und angestrengt. Mehr als eine Stunde hat die 44-Jährige schon vom Leben mit behinderten Kindern erzählt. Jetzt sollte sie langsam zum Ende kommen. Doch das Thema ist ihr zu wichtig. Sie kämpft - schon ziemlich lange: "Ich stehe eigentlich immer unter Strom." Die Boreks aus Hamburg haben vier Jungen. Die beiden mittleren, Lars und Jonas, sind geistig behindert, geraten schnell außer sich, sind sehr anfällig für Krankheiten, leiden unter Ängsten. "Fragiles-X-Syndrom" heißt die Krankheit. Sie beruht auf einer Veränderung des X-Chromosoms, wird vererbt. Gesa Borek setzt sich im Verein "Achse", der "Allianz chronischer seltener Erkrankungen", dafür ein, dass Eltern durch die PID die Chance auf gesunde Kinder bekommen. "Ich verstehe gut die Argumente der Gegner. Aber unser Alltag ist einfach immer wieder ein Drahtseilakt, und manchmal denke ich, das sprengt einfach unsere Familie."

So bitter das Leiden manchmal auch sein mag - Christian Papadopoulos, der auch bei "Achse" mitarbeitet, kommt dabei der ethische Aspekt zu kurz: "Eltern leiden auch, wenn ihre Kinder kriminell werden." Es gehe um die Frage, ob der Mensch in den Schöpfungsprozess eingreifen dürfe: "Bin ich geworden, oder bin ich gemacht worden?" Er fürchtet, dass eine Zulassung der PID unweigerlich eine Tür aufstoßen würde, die dann nicht mehr zu schließen wäre: Embryonen würden zu Gütern, die dann auch für die medizinische und die Arzneimittel-Forschung "gebraucht" werden könnten. Außerdem würde angesichts des Kostendrucks im Gesundheitswesen unweigerlich die Kosten-Nutzen-Analyse in den Vordergrund treten: "Da wird mein Selbstverständnis als Mensch infrage gestellt."

Das Argument, dass ein Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation viel schlimmer sei, hält er für verfehlt. Wenn eine Frau ein behindertes Kind erwartet, ist ein Abbruch straffrei, wenn die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Die Ausgangslage sei anders, sagt Papadopoulos. Dabei gehe es um eine Rechtsgüterabwägung zwischen dem Wohl des Ungeborenen und dem der Mutter.

Für viele verzweifelte Eltern mache das im Ergebnis keinen Unterschied, sagt Gesa Borek: "Ich kenne so viele, die sich nach Eintreten der Schwangerschaft testen lassen. Wenn die Erbkrankheit festgestellt wird, lassen sie das Kind abtreiben. Das ist dann legal." Für sie wäre das aber niemals infrage gekommen. Und für viele Frauen sei ein Abbruch ein traumatisches Ereignis. Aus ihrer Sicht ist es ein Widerspruch, wenn die PID illegal sein soll.

Gesa Borek ist oft am Ende ihrer Kräfte. Sie wirkt zerrissen. Einerseits kämpft sie für Gentests an Embryonen und die Chance auf ein Leben ohne Behinderung. Andererseits möchte sie natürlich keines ihrer Kinder missen. "Denn bei aller Besonderheit sind wir auch ganz normal." Doch die Gesellschaft macht es ihr nicht eben leicht. Menschen begegnen ihr und ihren Kindern immer wieder mit Ablehnung, Unverständnis, sogar Häme. Schmerzlich erinnert sie sich an den Kommentar eines Bekannten: "Der sagte mir ins Gesicht: Ein behindertes Kind ist Pech, zwei behinderte Kinder sind fahrlässig. Das tut weh." "Da wird mein Selbstverständnis als Mensch infrage gestellt."

Christian Papadopoulos,

der an einer Erbkrankheit leidet

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