NSU-Prozess Beate Zschäpe bittet um Gnade

München · Nach mehr als fünf Jahren ist der NSU-Prozess endlich am Ziel: Am 11. Juli will das Gericht die Urteile sprechen.

 Wird sie am 11. Juli zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt? Beate Zschäpe, hier zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (l.) und Mathias Grasel im Gerichtssaal in München, äußerte sich zum Ende des NSU-Prozesses noch einmal persönlich.

Wird sie am 11. Juli zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt? Beate Zschäpe, hier zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (l.) und Mathias Grasel im Gerichtssaal in München, äußerte sich zum Ende des NSU-Prozesses noch einmal persönlich.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Es ist der 437. Verhandlungstag im NSU-Prozess, Dienstagvormittag, 10.25 Uhr. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl fragt in die Runde: „Noch irgendwelche Anträge?“ Keiner meldet sich. „Dann wird die Verhandlung geschlossen“, verkündet Götzl – nach mehr als fünf Jahren Prozessdauer – und ruft die Angeklagten für ihre Schlussworte auf.

Beate Zschäpe fingert an ihrem Mikrofon und rückt es in Position. Sie klappt ihren schwarzen Laptop auf und fummelt einige Blatt Papier heraus. Sie schaut auf die erste Seite und liest: „Hoher Senat, heute möchte ich die Chance der letzten Worte nutzen, was mir zugegebenermaßen nicht leicht fällt.“

Zschäpe spricht schnell, sie klingt ein bisschen nervös. Es falle ihr schwer, sich zu konzentrieren, auch wegen der „Jahre in Untersuchungshaft“. Sie erklärt, warum sie sonst im Prozess bis auf eine Ausnahme nie selber gesprochen habe. „Ich habe das Gefühl, dass jedes Wort, und sei es von mir noch so ehrlich und ernst gemeint, falsch beziehungsweise mir nachteilig ausgelegt wird.“ Aber jetzt wolle sie doch noch einmal sprechen, ihre Worte enthielten diesmal auch „keinerlei anwaltliche Formulierungen“, sagt sie.

An die Adresse der Familien der Mordopfer, namentlich der Mutter von Halit Yozgat in Kassel, sagt sie: „Ich bin ein mitfühlender Mensch und habe sehr wohl den Schmerz, die Verzweiflung und die Wut der Angehörigen sehen und spüren können.“ Yozgats Mutter hatte schon im ersten Jahr des Prozesses die Frage an Zschäpe gerichtet, ob sie noch ruhig schlafen könne – worauf sich Zschäpe in ihrem Schlusswort ausdrücklich bezieht.

Die Hauptangeklagte beteuert: Wüsste sie, wie ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihre Opfer auswählten, sie würde es verraten. Aber: „Ich hatte und ich habe keinerlei Kenntnisse darüber.“ Wüsste sie etwas, dann würde sie das „jetzt hier preisgeben, da es für mich keinerlei Grund mehr gibt, etwas zu verschweigen“. Zschäpe ergänzt: „Leider gibt es nicht mehr als diese Worte des Bedauerns. Ich kann den Hinterbliebenen ihre Angehörigen nicht mehr zurückgeben.“

Zschäpe nutzt ihr Schlusswort auch, um noch einmal über ihre politische Gesinnung zu sprechen. An die Adresse wohl vor allem der Mitangeklagten Ralf Wohlleben und André E. sagt sie: „Zwar akzeptiere ich die Meinung und Gesinnung der Mitangeklagten, habe aber für mich die Entscheidung getroffen, dass rechtes Gedankengut für mich keine, aber auch gar keine Bedeutung mehr hat.“

An Richter Götzl und den Münchner OLG-Senat appelliert sie, sich von öffentlichem oder politischem Druck nicht beeindrucken zu lassen und Zschäpe nicht „stellvertretend“ für etwas zu verurteilen, was sie „weder gewollt noch getan“ habe. Dann ist sie fertig. Drei der vier Mitangeklagten sagen ebenfalls noch etwas, allerdings deutlich kürzer. Kurz darauf ist die Sitzung dann beendet. Draußen vor der Tür stehen die Eltern von Halit Yozgat. Um sie formiert sich gleich ein Pulk. Sie sprechen in Kameras und Mikrofone. „Wenn die Regierung uns schon nicht schützen konnte, dann soll sie wenigstens gerecht sein“, sagt Ayse Yozgat. „Als Mutter fordere ich Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!“ Und der Vater Ismail Yozgat erinnert daran, wie „mein Sohn in meinen Armen gestorben ist“.

Gleich darauf gesellt sich ein Mann namens Mustafa Yeneroglu zu den Yozgats, Mitglied des türkischen Parlaments aus der Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Yeneroglu wurde in Deutschland vom Verfassungsschutz überwacht, als er Generalsekretär der islamismusverdächtigen Organisation Milli Görüs war. Er nutzt nun die Situation und meint, Deutschland zeige „mit erhobenem Zeigefinger auf die Verhältnisse in anderen Staaten“. Dabei seien im NSU-Prozess „Hunderte Fragen“ nicht beantwortet. Die Türkei müsse die „Ängste ihrer Staatsbürger in Deutschland“ ernst nehmen und über „institutionellen Rassismus“ in Deutschland sprechen.

Nun ist das Gericht am Zug. Am 11. Juli will es sein Urteil sprechen. Die große Frage ist: Wird Zschäpe als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ verurteilt – mit lebenslänglich? Oder kommt sie mit einer vergleichsweise milden Haftstrafe davon?

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