Barroso, wie ihn kaum einer kennt

Brüssel. "In den letzten sechs Monaten habe ich mehr Zeit mit Nicolas Sarkozy verbracht als mit meiner Frau", sagt José Manuel Durao Barroso

Brüssel. "In den letzten sechs Monaten habe ich mehr Zeit mit Nicolas Sarkozy verbracht als mit meiner Frau", sagt José Manuel Durao Barroso. Als der Präsident der Europäischen Kommission gestern um 6 Uhr aufstand, wusste er längst, dass ihm drei Stunden später vom amtierenden EU-Ratspräsidenten, dem tschechischen Regierungschef Jan Fischer, die entscheidende Frage gestellt werden würde: "Stehen Sie für eine zweite Amtsperiode zur Verfügung?" Barrosos Antwort: "Ja, ich stehe zur Verfügung." Und dann der wichtige Zusatz: "Vorausgesetzt, die 27 Staats- und Regierungschefs der EU unterstützen beim Gipfeltreffen in der kommenden Woche mein ehrgeiziges Programm für die Zukunft." Denn: "Ich glaube, dass wir in Krisenzeiten ein starke Kommission und eine starke Europäische Union brauchen." Barrosos Ambitionen waren längst bekannt. Der 53-jährige Portugiese galt 2004 nur als Kompromisskandidat, den die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel nach Kräften förderte. Sein erster Versuch, eine Kommission zusammenzustellen, scheiterte. Das Europäische Parlament legte sich quer. "Wenn er ein Ziel vor Augen hat, ist er bereit, auch Umwege zu gehen", sagen seine unmittelbaren Mitarbeiter über ihn. Jeden Morgen sitzt er um 9 Uhr in seinem Büro im Berlaymont, dem Hauptgebäude der Kommission. Falls er nicht gerade unterwegs ist. Im Vorjahr war er das an 200 Tagen . "Wenn ich abends um 21 Uhr zuhause bei meiner Frau beim Essen sitze", erzählt Barroso, "schaut sie mich manchmal an, als wolle sie sagen 'Warum führst du dieses Leben?' Aber sie kennt mich." Es sei besser, die "Dinge in kleinen Schritten zu verändern, als andere zu kritisieren", nennt er sein Lebensmotto. Zum Wachwerden hört er Opern oder Jazz. Mehr als fünf Stunden Schlaf bekommt er nie. Bis zu zehn Konferenzen absolviert er jeden Tag - und telefoniert trotzdem zwischendurch mit seiner 86-jährigen Mutter in Lissabon. Sie verfolgt in den Nachrichten, was der Sohn in Brüssel so tut. Das sei zu wenig, tönen Sozialdemokraten und vor allem Grüne in diesen Tagen und haben angekündigt, Barroso bei der Befragung vor der Abstimmung im Parlament am 14./15. Juli genau zu prüfen. Kritiker werfen Barroso vor, er reagiere - wie nach der Kaukasus- oder Finanzmarkt-Krise - zu langsam. Tatsächlich bemüht er sich stets, nicht vorzupreschen, sondern zunächst einen Standpunkt der 27 Mitgliedsländer der EU auszutarieren. Nun will er das "starke Europa" bauen, Konsequenzen aus der miserablen Beteiligung an der Europawahl ziehen und die Gemeinschaft zu einem politischen Gewicht auf der Weltbühne machen. Barroso ist stolz auf das Klimaschutz-Paket, auf die Neuordnung des Chemikalienmarktes, Bereiche, in denen die EU die "Nummer Eins" in der Welt ist. Nun soll das auch politisch der Fall werden. Nichts hat ihn offenbar so gekränkt wie der Moment, als ein verstockter Wladimir Putin - damals noch russischer Präsident - ihn nicht als Gesprächspartner akzeptieren wollte, weil Barroso als Kommissionspräsident mit ihm nicht auf einer Ebene stehe. Den Schlaf lässt er sich von solchen Ereignissen nicht rauben, erzählt der alte und mutmaßliche neue "Mister Europa", der fünf Sprachen fließend spricht und nach seiner Wahl 2004 Deutsch-Unterricht nahm.

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