Bambi verlässt fluchtartig die Lichtung

Christian Lindners persönliche Referentin Susann Laboga hat Tränen in den Augen. Sie mochte ihren Chef, wie fast alle im Thomas-Dehler-Haus. Über hundert Journalisten haben sich aufgebaut. Schon wieder eine Großkrise bei der FDP. Es herrscht Jux-Stimmung

 "Auf Wiedersehen": Mit diesen Worten verließ FDP-Generalsekretär Christian Lindner gestern nach seiner Rücktrittserklärung das Rednerpult im Thomas-Dehler-Haus. Foto: Kappeler/dpa

"Auf Wiedersehen": Mit diesen Worten verließ FDP-Generalsekretär Christian Lindner gestern nach seiner Rücktrittserklärung das Rednerpult im Thomas-Dehler-Haus. Foto: Kappeler/dpa

Christian Lindners persönliche Referentin Susann Laboga hat Tränen in den Augen. Sie mochte ihren Chef, wie fast alle im Thomas-Dehler-Haus. Über hundert Journalisten haben sich aufgebaut. Schon wieder eine Großkrise bei der FDP. Es herrscht Jux-Stimmung. Wird Klaus Kinkel jetzt aus der Reserve gerufen oder sogar Hans-Dietrich Genscher vom Altenteil geholt? Um elf Uhr federt Lindner auf die Bühne und erklärt in einer Minute seinen Rücktritt. Er wirkt konzentriert, aber nicht traurig. Am Ende lächelt er sogar ganz kurz. "Auf Wiedersehen", sagt er auffällig betont. Keine Nachfragen erlaubt.Lindner will wiederkommen, wenn es besser läuft. Deshalb geht er jetzt, wo es schlecht läuft. So erklären es sich die meisten. Er selbst sagt, dass er seinen Platz frei mache, "um neue Dynamik zu ermöglichen". Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen hätten ihn in dieser Einschätzung bestärkt. Wer in der Partei nachhorcht, erfährt, dass es kein einzelnes Ereignis ist, das der Generalsekretär da meint, sondern eher der allgemeine Schlamassel der Liberalen. Der 32-Jährige aus Nordrhein-Westfalen, den Guido Westerwelle gestern genau vor zwei Jahren zum Generalsekretär machte, hat sich das alles etwas anders vorgestellt. Vor allem nach dem Neuanfang im Mai in Rostock mit Philipp Rösler. Stattdessen Wahlniederlagen, Umfrage-Tiefpunkte und interner Streit. Der Erfolg bleibt aus; aus der Partei wächst die Kritik am Apparat, an seinem Thomas-Dehler-Haus, auch an ihm. Außerdem funktionierte die Zusammenarbeit in der Spitze nicht. Beispiel Mitgliederentscheid. Am Sonntag erscheint ein Interview des Vorsitzenden, in dem der die Basisinitiative gegen die Euro-Rettung vorzeitig für gescheitert erklärt. Die Äußerung sorgt für viel Empörung. Am Montag erlebt Lindner nach der Vorstandssitzung wieder eine unerfreuliche Pressekonferenz. Keiner interessiert sich für liberale Inhalte. Alle nur für den liberalen Zoff. Lindner, der sonst ein ausgesprochen gutes Verhältnis zur Presse pflegt, wird fast aggressiv. Er habe als Generalsekretär nicht Interviews des Vorsitzenden zu billigen, sagt er.

Nach dieser Pressekonferenz fällt bei ihm die Entscheidung, hinzuwerfen. "Bambi", wie ihn sein Förderer in Nordrhein-Westfalen, Jürgen W. Möllemann, lange nannte, verlässt fluchtartig die Lichtung und zieht sich zurück in den Bundestag, als einfacher Abgeordneter.

Am Mittwochmorgen, kurz vor der Kabinettssitzung, informiert er Rösler im Wirtschaftsministerium, 20 Minuten lang. Enge Mitarbeiter sind da schon informiert. Der FDP-Chef ist überrascht; das Gespräch wird lautstark. Es zerbricht in diesem Moment endgültig das Tandem, das im Mai aufgebrochen war, die Ära Westerwelle zu beenden und die FDP aus dem Jammertal zu holen.

Der Rücktritt hat das Potenzial zur ganz großen Krise der Liberalen, vielleicht sogar der Koalition. "Lindners Rückzug dürfte die Kanzlerin in ihrer Analyse bestärken, dass mit dieser FDP nach der nächsten Bundestagswahl 2013 keine Koalition mehr zu machen ist", sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Dadurch steige das Spannungsverhältnis im Regierungsbündnis.

Noch einen Neuanfang erträgt die FDP in diesem Jahr nicht. Von Schock spricht Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Nur Dirk Niebel, kein Freund der "Boygroup" um Rösler und Lindner, witzelt: "Alles wird gut." Andere beschimpfen Lindner und werfen ihm "Fahnenflucht" vor. Er wolle sich nur die Chance erhalten, später Parteivorsitzender zu werden, wird einer aus der Führung zitiert. Erinnert wird an Lindners Satz: "Lesen Sie das Buch bis zum Schluss: Am Ende ist Bambi der Herrscher des Waldes." Manche kolportieren auch, der Generalsekretär habe Angst gehabt, für organisatorische Mängel beim Mitgliederentscheid haftbar gemacht zu werden. Es ist an diesem Tag viel gelbes Gift in der Berliner Luft.

Um 13 Uhr tritt Philipp Rösler im Thomas-Dehler-Haus vor die Presse, an gleicher Stelle wie vor ihm Lindner. Anfangs das übliche "außerordentliche Bedauern", dann geht er zum Fahrplan zur Lösung der Krise über. "Es fügt sich", sagt Rösler, dass am Freitag sowieso eine Gremiensitzung stattfinde. Dann werde auch feststehen, wie der Mitgliederentscheid ausgegangen sei. Als Lindners Nachfolger stellte Rösler bereits gestern den bisherigen Schatzmeister Patrick Döring vor, einen Vertreter des liberal-konservativen Parteiflügels. Döring sagte, er fühle sich "sehr geehrt". Das SZ-Interview mit Prof. Jürgen Falter lesen Sie unter www.saarbruecker-zeitung.de/berliner-buero

Foto: Jensen/dpa

"Ich bedaure

dies außer- ordentlich."

Parteichef

 "Auf Wiedersehen": Mit diesen Worten verließ FDP-Generalsekretär Christian Lindner gestern nach seiner Rücktrittserklärung das Rednerpult im Thomas-Dehler-Haus. Foto: Kappeler/dpa

"Auf Wiedersehen": Mit diesen Worten verließ FDP-Generalsekretär Christian Lindner gestern nach seiner Rücktrittserklärung das Rednerpult im Thomas-Dehler-Haus. Foto: Kappeler/dpa

Philipp Rösler

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