Bagdad zittert vor den Islamisten

Bagdad · Die Lage im Irak eskaliert, das Land droht zu zerbrechen. Am Freitag setzte die Terrorgruppe Isis ihren Marsch auf Bagdad fort. Die Menschen dort leben in größter Angst und fühlen sich von ihrer Armee im Stich gelassen. Viele bereiten sich darauf vor, die Stadt fluchtartig zu verlassen.

Gespenstische Stille hat sich über das sonst so belebte Zentrum Bagdads gelegt. Nur wenige Geschäfte haben in diesen Tagen geöffnet, und auf den Straßen sind kaum Menschen zu sehen. Die Einwohner der irakischen Hauptstadt fürchten sich vor einem Einmarsch islamistischer Extremisten, die nach der Einnahme mehrerer Städte nun auf Bagdad vorrücken. "Bagdad ist seit Tagen menschenleer. Die Leute verlassen kaum ihre Häuser, weil sie Angst haben", sagt der Journalist Said Andulwahab.

Der 33-Jährige sitzt mit einem Freund in einem Restaurant im Zentrum der Sieben-Millionen-Stadt, die wie ausgestorben wirkt. "Die bewaffneten Kämpfer sind 60 Kilometer entfernt, sie stehen vor den Toren Bagdads und können jeden Moment einrücken."

Seit Montagabend eroberten die Einheiten der radikalen sunnitischen Organisation Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isis) bereits die nordirakische Millionenstadt Mossul, die gesamte Provinz Ninive sowie Teile der Provinz Kirkuk. Hunderttausende Menschen wurden in die Flucht getrieben. Am Donnerstag besetzten die Islamisten die Stadt Dhuluijah nördlich von Bagdad . Isis-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani kündigte an, seine Einheiten würden nun weiter auf Kerbela und Bagdad vorrücken.

Andulwahab blickt fassungslos auf die jüngsten Entwicklungen in seinem Heimatland. "Ich habe Angst um mich und meine Familie", sagt er. "Wir verstehen nicht, was gerade passiert. Wo ist die Armee , für die wir Milliarden ausgegeben haben?" Aus Furcht vor den schwer bewaffneten Islamisten hatten sich die irakischen Soldaten vielerorts kampflos zurückgezogen oder waren desertiert. Der Irak lebe in einem Klima der Angst, wie es das Land seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003 nicht mehr erlebt habe, sagt Andulwahab.

Im Geschäftsviertel Karrada bleiben an diesem Tag viele Läden geschlossen. "Seit zwei Tagen laufen die Geschäfte deutlich schlechter", berichtet der 25-jährige Friseur Salam. "Wir sind sehr besorgt über die Entwicklungen, aber wir hoffen, dass in Bagdad nichts passieren wird."

Glasmacher Abu Alaa stellt sich derweil darauf ein, mit seiner Familie aus Bagdad fliehen zu müssen. "Die Leute sind verwirrt. Alle fühlen sich allein gelassen, keiner sorgt für unsere Sicherheit." Vor einem Monat sei all dies noch undenkbar gewesen. "Aber jetzt kann alles passieren."

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HintergrundDie Krise im Irak hält den Rohölmarkt in Atem. Am Freitag legten die Preise weiter zu. Am Morgen kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Juli 113,25 US-Dollar. Das waren 23 Cent mehr als am Donnerstag. Die Ölpreise sind sprunghaft gestiegen, weil die Lage im Irak zusehends außer Kontrolle zu geraten scheint. dpa

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