Babys aus dem Eis

Saarbrücken. Ein leises Zischen, fast wie ein Seufzen. Weißer Dampf wabert aus der runden Öffnung der hüfthohen Tonne, als eine Labor-Mitarbeiterin den Deckel abnimmt. Sie trägt einen dicken blauen Handschuh. Lange Stäbe hängen in kleinen Vertiefungen im Rand der Tonne

 Hoffnung auf neues Leben bei minus 196 Grad: In langen Röhrchen werden eingefrorene Eizellen gelagert. Foto: Thomas Wieck

Hoffnung auf neues Leben bei minus 196 Grad: In langen Röhrchen werden eingefrorene Eizellen gelagert. Foto: Thomas Wieck

Saarbrücken. Ein leises Zischen, fast wie ein Seufzen. Weißer Dampf wabert aus der runden Öffnung der hüfthohen Tonne, als eine Labor-Mitarbeiterin den Deckel abnimmt. Sie trägt einen dicken blauen Handschuh. Lange Stäbe hängen in kleinen Vertiefungen im Rand der Tonne. Als die Medizinisch-Technische Assistentin eine der Halterungen anhebt, kommt ein kleiner Köcher zum Vorschein, in dem lange Röhrchen mit roten, grünen, gelben oder blauen Deckeln stecken. Unter einer zarten Kälteschicht sind Buchstaben zu erkennen - es sind Namen. Ein handgeschriebenes Schild auf der Tonne verrät den Inhalt der Röhrchen: "Eizelltonne 1".Rund 100 Frauen haben in dem Behälter ihre Eizellen in eine Art Winterschlaf versetzen lassen. Kryo-Konservierung heißt das Verfahren, mit dem der Ursprung neuen Lebens eingefroren und jahrelang erhalten werden kann. In 150 Litern Flüssigstickstoff bei minus 196 Grad ist die Entwicklung der Eizellen unterbrochen - kann aber nach dem Auftauen weitergehen, als sei nichts gewesen. 25 Jahre ist es her, dass in Deutschland erstmals ein Kind zur Welt kam, das aus einer zuvor eingefrorenen Eizelle heranwuchs. Ein Meilenstein in der Kinderwunsch-Medizin. Die Forscher betraten absolutes Neuland. Die kleine Christine wurde am 17. Februar 1987 geboren. Es folgten tausende andere "Babys aus dem Eis". 2010 wurden in Deutschland rund 3300 Frauen nach einer Kryo-Konservierung schwanger.

Eingefroren werden dürfen nach deutschem Recht nur Eizellen im sogenannten Vorkernstadium. "Sie sind bereits befruchtet, das Erbmaterial von Mann und Frau ist jedoch noch nicht verschmolzen", erklärt Dr. Lars Happel vom Kinderwunsch-Zentrum IVF-Saar in Saarbrücken. Das Einfrieren von Embryonen - also Eizellen, bei denen die DNS vereint ist und mehrere Zellteilungen stattgefunden haben - sei verboten, da das Embryonenschutzgesetz von 1991 sie bereits als Leben definiere. Viele Paare, die nur durch künstliche Befruchtung ein Kind bekommen können, entscheiden sich für die Kryo-Konservierung, um sich die Chance auf eine weitere Schwangerschaft zu erhalten. Im IVF-Saar stehen vier Behälter mit der Aufschrift "Eizelltonne" in einem kleinen unscheinbaren Raum. Sie enthalten die Hoffnungen hunderter Paare auf ein Baby.

Auch die Eizellen von Tanja Schuster (alle Namen geändert) waren dort auf Eis gelegt. Im Dezember 2010 kamen die Zwillinge Lisa und Svenja zur Welt - zwölf Jahre, nachdem die Eizellen ihrer Mutter eingefroren worden waren. Fünf Jahre lang war der Kinderwunsch von Tanja Schuster und ihrem Mann, die damals bei Saarbrücken lebten, unerfüllt geblieben. "Wir haben uns beide untersuchen lassen. Die Ärzte sagten uns, dass eine natürliche Empfängnis nicht möglich ist", erinnert sich die 45-Jährige. Im Saarbrücker Kinderwunsch-Zentrum ließ das Paar 1998 eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) durchführen, eine Befruchtung von Eizellen im Reagenzglas. Einige davon wurden Tanja Schuster wieder eingesetzt. Und endlich klappte es mit der Schwangerschaft - beim ersten Versuch. Tanja Schuster bekam Alina, ihr persönliches kleines Wunder, das heute zwölf Jahre alt ist. Die übrigen Eizellen wurden eingefroren und für mehr als ein Jahrzehnt gelagert. Biologisch gesehen sind Alina, Lisa und Svenja also Drillinge. "Das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man sie so anschaut", sagt die Mutter und lächelt. Zwei Wonneproppen mit dunklen Haaren und Pausbacken und ein blondes Mädchen, das schon bald eine junge Frau sein wird. Doch "gezeugt" wurden sie alle am gleichen Tag - in einem Saarbrücker Labor.

Eine rote Linie zieht die Grenze, dahinter beginnt der Hygienebereich. Niemand kommt mit schmutzigen Schuhen rein oder ohne die Hände zu desinfizieren. Je näher die Mitarbeiter des IVF-Saar dem Herzstück des Labors kommen - dem Reinraum, in dem die Befruchtungen der Eizellen erfolgen - desto strenger werden die Vorkehrungen. Zugang gibt es nur über eine Schleuse, in der immer nur eine Tür geöffnet sein darf. Ständiger leichter Überdruck verhindert, dass unreine Luft eindringen kann. "Wir versuchen, soweit es geht, das Milieu des Mutterleibes nachzuahmen", erklärt Happel.

Das Labor an sich ist eher unspektakulär: Mikroskope, Monitore, Petrischalen und Reagenzgläser. Das, was spektakulär ist, findet im Verborgenen statt. In großen, grauen Brutschränken, bei 37 Grad und 6,2 Prozent CO2-Sättigung, wie die Anzeige verrät. Angelika Dexheimer öffnet die schwere Tür an einem der Schränke. "Aber nur kurz", sagt die Medizinisch-Technische Assistentin. Sechs kleine Abteile - "Appartments" nennt Dr. Happel sie - sind hinter Glas zu sehen. Jedes Paar hat sein eigenes. Dort kämpfen in Reagenzgläsern Spermien darum, die Schutzhülle der Eizellen zu durchdringen. Nur eine wird es schaffen. Das Wunder des Lebens in einem kleinen Glasröhrchen in einem Schrank. "Machen wir schnell wieder zu, nicht dass ihnen kalt wird", sagt Dr. Happel lächelnd.

Seit 17 Jahren ist der 48-Jährige im Saarbrücker Kinderwunsch-Zentrum. Er trat in die Fußstapfen seines Vaters, der das IVF-Labor mit Dr. Michael Thaele Mitte der 1980er Jahre gründete. Ein "erfüllender Beruf", sagt Happel. Doch es gibt auch Schattenseiten - nur etwa zwei von drei Paaren können er und seine Kollegen helfen. "Ich habe hier schon viele Tränen gesehen", gesteht er. "Manchmal muss ich meinen Patienten sagen, dass die Grenze erreicht ist. Wir müssen die Balance wahren zwischen dem Machbaren und dem Zumutbaren. Schwanger zu werden, soll für eine Frau nicht zur Qual werden." In Happels Metier ist nicht nur Fachkompetenz gefragt, sondern auch Einfühlungsvermögen. "Für die meisten Paare ist die Hemmschwelle, bei Kinderlosigkeit Hilfe zu suchen, ohnehin groß. Sie haben ein Gefühl des Versagens."

Für Tanja Schuster und ihren Mann war es keine Frage, dass sie Hilfe suchen würden, obwohl sie wussten, welchen körperlichen und seelischen Einsatz dies bedeutete. Schließlich gehen verschiedene Behandlungen und kleinere Eingriffe mit der künstlichen Befruchtung einher. Und die heimliche Angst, nicht schwanger zu werden. Tanja Schuster selbst war immer zuversichtlich und will Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch Mut machen. "Man wird reichlich belohnt, wenn man sein Kind im Arm hält."

Sie selbst bekam nach der ersten IVF doch noch zwei Kinder auf natürlichem Wege, einen Jungen und ein Mädchen. Die Familie ist inzwischen nach Norddeutschland umgezogen. Warum sie sich dennoch nach so vielen Jahren noch einmal für eine künstliche Befruchtung entschied? "Uns war immer bewusst, dass die anderen Eizellen in Saarbrücken noch eingefroren sind", sagt Tanja Schuster. "Unsere Eisbären" nennt sie sie. "Wir haben sie auch als unsere Kinder gesehen und wollten ihnen die Möglichkeit geben, ihre Geschwister kennenzulernen." "Schwanger zu werden, soll für eine Frau nicht zur Qual werden."

Dr. Lars Happel

Hintergrund

Im Saarland gibt es zwei Kinderwunschzentren. Neben dem IVF-Saar bietet auch die Uniklinik in Homburg kinderlosen Paaren Hilfe an. Nach Behandlungen zur Förderung der Fruchtbarkeit steht die Befruchtung außerhalb des Körpers. Es gibt zwei Methoden.

In-Vitro-Fertislisation (IVF): Durch eine Hormonbehandlung wird das Wachstum von mehreren Eizellen bei der Frau stimuliert. Diese werden im Reagenzglas mit Spermien zusammengebracht. Ist die Befruchtung erfolgt, entwickeln sich die Eizellen in zwei bis drei Tagen zu Embryonen und werden in die Gebärmutter eingesetzt.

 Diese einjährigen Zwillinge sind zwei Babys aus dem Eis. Foto: privat

Diese einjährigen Zwillinge sind zwei Babys aus dem Eis. Foto: privat

 Hoffnung auf neues Leben bei minus 196 Grad: In langen Röhrchen werden eingefrorene Eizellen gelagert. Foto: Thomas Wieck

Hoffnung auf neues Leben bei minus 196 Grad: In langen Röhrchen werden eingefrorene Eizellen gelagert. Foto: Thomas Wieck

 Diese eineiigen Zwillinge sind zwei Babys aus dem Eis. Foto: privat

Diese eineiigen Zwillinge sind zwei Babys aus dem Eis. Foto: privat

Intra-Cytoplasmatische Spermien-Injektion (ICSI): Ein einzelnes Spermium wird mit einer hauchdünnen Glasnadel direkt in die Eizelle eingebracht. Der Rest der Behandlung verläuft wie bei der IVF. mast

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort