Aus friedlichem Protest wird Gewalt-Exzess

Kairo. Im koptischen Krankenhaus in Kairo spielten sich gestern chaotische Szenen ab. Vom Trauerschmerz gepeinigte Mütter trafen auf die übel zugerichteten Leichen ihrer Söhne. Im Innenhof der Klinik demonstrierten rund 100 Christen und hielten Kreuze hoch

 Christen demonstrieren im Innenhof des koptischen Krankenhauses in Kairo, in dem viele Tote und Verletzte liegen. Foto: Omar/dpa

Christen demonstrieren im Innenhof des koptischen Krankenhauses in Kairo, in dem viele Tote und Verletzte liegen. Foto: Omar/dpa

Kairo. Im koptischen Krankenhaus in Kairo spielten sich gestern chaotische Szenen ab. Vom Trauerschmerz gepeinigte Mütter trafen auf die übel zugerichteten Leichen ihrer Söhne. Im Innenhof der Klinik demonstrierten rund 100 Christen und hielten Kreuze hoch. Die Bilder der vorangegangen Nacht haben sich in ihnen allen festgefressen: Polizisten jagen friedliche Demonstranten und blutüberströmte Verletzte irren zwischen leblosen Körpern umher. Die vordergründig religiös motivierten Ausschreitungen am Sonntagabend in Kairo, bei denen mindestens 24 Menschen starben, markieren eine neue Dimension der Gewalt. Erstmals seit dem Sturz des autoritären Präsidenten Husni Mubarak heizten die staatlichen Medien einen schwelenden Konflikt durch offene Hetze gegen die koptischen Christen an.Es begann friedlich. Mehrere hundert Kopten wollten protestieren, weil zehn Tage zuvor ein muslimischer Mob eine Kirche in der Ortschaft Edfu in der oberägyptischen Provinz Assuan niedergebrannt hatte. Dass der Gouverneur von Assuan, Mustafa al-Sajjid, die Zerstörung des Gotteshauses indirekt rechtfertigte, stachelte die Wut der Kopten weiter an. Die Kirche sei "illegal errichtet" worden, sagte er. Tatsächlich bekommen die Kopten, die rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung darstellen, fast nie eine Genehmigung dafür, eine neue Kirche zu bauen.

Es ist nicht der erste Protest von Kopten. Doch diesmal wurden sie von aufgehetzten muslimischen Anwohnern und Jugendbanden mit Steinen beworfen. Einige Kopten warfen zurück. Die Polizei trieb mit äußerster Gewalt ausschließlich die koptischen Demonstranten auseinander. Zwischen den friedlichen Teilnehmern und den Straßenkämpfern machten sie keinen Unterschied.

Religiös motivierte Konflikte sind in Ägypten häufig. Doch diesmal hatten die Demonstranten das Niederbrennen der Kirche in Edfu nur zum Anlass genommen, um ihrer tiefen Bitterkeit über den herrschenden Militärrat Luft zu machen. Die Minderheit klagt über gezielte Einschüchterungsversuche durch radikal-fundamentalistische Salafisten, die seit dem Sturz Mubaraks ihrem Hass freien Lauf lassen können.

Seit März sind nach Angaben der ägyptischen Menschenrechtsorganisation an die 100 000 Kopten aus dem Land geflüchtet. Manche halten zwar diese Zahlen für übertrieben, fest steht jedoch, dass die Minderheit zunehmend um ihre Sicherheit und Zukunft bangt. Mehr als ihre muslimischen Brüder quält die Kopten die Enttäuschung über die neuen Herrscher, die keines der Versprechen, die ihnen gleiche Rechte im neuen Ägypten sichern sollten, erfüllt haben. Viele Ägypter sind überzeugt, dass das Militär bewusst das Blutbad angezettelt hat, um einen tiefen Keil zwischen Kopten und Muslime zu treiben. Einseitige Berichte des staatlichen Fernsehens, die Kopten beschuldigten, sie hätten randaliert und mindestens 86 Soldaten getötet, wirken wie Aufrufe an Muslime zur Gewalt. Das herrschende Militär habe nun ein äußerst gefährliches Spiel begonnen, sind ägyptische Demokratie-Aktivisten überzeugt. Durch die Unruhe im Land könnten die Generäle eine Übergabe der Macht an demokratisch gewählte Institutionen aufschieben oder blockieren. Tatsächlich vertrauen viele Ägypter nicht mehr darauf, dass der Militärrat tatsächlich aus der Politik ausscheiden werde. So wurde die ursprünglich auf sechs Monate festgesetzte Übergangsperiode auf zwei Jahre verlängert. Die seit 20 Jahren herrschenden Notstandsgesetze lassen den Sicherheitskräften freie Hand bei Verhaftungen und Folter. Ihre rasche Aufhebung hatte der Militärrat Ende Februar versprochen, sie wurden aber weiter verlängert.

Hintergrund

In Ägypten leben mehr als 80 Millionen Menschen. Über 90 Prozent davon sind Muslime, etwa acht Prozent Christen. Die größte Gruppe unter den Christen sind die Kopten. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen:

7. Mai 2011: Im Kairoer Armenviertel greifen Muslime die koptische St. Mina-Kirche an und setzen sie in Brand. Sie vermuten, dass dort eine zum Islam konvertierte Frau festgehalten wird. Mindestens zwölf Menschen werden getötet.

8. März 2011: In der Kairoer Vorstadt Mokattam treten Kopten in einen Sitzstreik. Sie protestieren gegen die Zerstörung einer koptischen Kirche. Mindestens 13 Menschen sterben.

1. Januar 2011: Bei einem Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria werden 23 Menschen getötet. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort