Aus der Armut ins Luxusleben der Freibeuter Erschöpft von der täglichen Gewalt

Mogadischu. Wenn die Piraten mit neuer Beute an der Küste vor dem Dorf Harardhere ankern, kommt Festtagsstimmung auf

 Somalische Piraten treten in ihren Heimatdörfern als großzügige Unternehmer auf. Das sichert ihnen Sympathien. Foto: dpa

Somalische Piraten treten in ihren Heimatdörfern als großzügige Unternehmer auf. Das sichert ihnen Sympathien. Foto: dpa

Mogadischu. Wenn die Piraten mit neuer Beute an der Küste vor dem Dorf Harardhere ankern, kommt Festtagsstimmung auf. Die Nachricht vom bevorstehenden Landgang der Entführer verbreitet sich wie ein Lauffeuer, denn ihr Geld hält die lokale Wirtschaft in Gang: Für Lösegeldverhandlungen um die ausländischen Schiffe und ihre Crews werden örtliche Milizen angeheuert und bezahlt, außerdem ordern die Piraten massenweise Zigaretten und die berauschenden Khat-Kaublätter. Die aufstrebende Hochburg des somalischen Freibeutertums steht schon seit längerem in dem Ruf der Gesetzlosigkeit. "In Mogadischu muss man Geld verdienen, in Harardhere sprechen die Gewehre", lautet ein altes somalisches Sprichwort. Der Aufstieg Harardheres zur Piraten-Hauptstadt begann 2006, als für die Freilassung eines koreanischen Frachters und mehrerer weiterer Schiffe erstmals hohe Lösegelder flossen.

Nun ankert vor der Küste der Supertanker "Sirius Star" mit rund zwei Millionen Barrel (159 Liter) Rohöl an Bord. Die modernen Freibeuter fordern 25 Millionen Dollar Lösegeld. Gelingt der Coup, profitiert auch Harardhere. Durch ihre Freigiebigkeit hätten die Piraten in der Region ein informelles Netzwerk errichtet, das ihnen logistische und politische Unterstützung an Land sichert, sagt einer der Präsidentenberater in Puntland, Bile Mohamud Kabowsade. Für die Bewohner Harardheres und anderer Regionen in der halbautonomen Region Puntland ist die Piraterie zu einem lukrativen Wirtschaftszweig geworden. Auf bis auf 30 Millionen Dollar (24 Millionen Euro) werden die Einnahmen aus den Raubzügen auf dem Meer geschätzt.

Während die Mehrheit der Somalier nach mehr als zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg Hunger leidet, bauen die Piraten Häuser und neue Autos. In Restaurants feiern sie ihre Beutezüge, telefonieren mit den neuesten Handy-Modellen und verteilen Geld an Bittsteller. "Sie sehen aus wie Unternehmer", sagt Ali Hadschi Jussuf, der in Garowe ein Hotel betreibt. "Unser Leben hat sich durch die Lösegelder verbessert", sagt Abdi Garad, der sich als Chef einer der ersten Piratengruppen ausgibt und nach eigener Aussage schon lange nicht mehr nur zum Fischen aufs Meer fährt. Dank seiner "Einnahmen" leistet er sich ein schickes Appartment, zwei Autos mit Vierradantrieb, mehrere Telefone - und zwei Nebenfrauen. Garad ist kein Einzelfall: Die Bewohner Garowes berichten von einem spektakulären Anstieg pompöser Hochzeiten, seit die Entführung von Schiffen zum Alltag gehört. Gewissensbisse hat Garad nicht: "Für uns ist das ein Geschäft." Er sieht sich aber auch als Kämpfer gegen die "Ausländer, die unsere Gewässer vergiften und unsere Ressourcen stehlen. Eines Tages muss man uns dafür belohnen."

Aus Harardhere stammt auch einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Schiffsentführungen der letzten Zeit: Mohammed "Großmaul" Abdi wurde schon von den 2006 zerschlagenen Islamischen Scharia-Gerichten gesucht - gefasst wurde er nicht. Dass in dem Dorf ungewöhnlich viele Piraten ungehindert unterwegs sind, hat auch politische Gründe: Dort leben hauptsächlich Mitglieder des Hawije-Clans, der gegen die Regierung von Präsident Abdullahi Jusuf Ahmed kämpft und die Anwesenheit äthiopischer Truppen im Land ablehnt.

Die Behörden haben in Harardhere schon lange nichts mehr zu sagen. Die chaotische Lage in Somalia, das von Experten als "Failed State" (gescheiterter Staat) betrachtet wird, spielt den Piraten in die Hände: Trotz der äthiopischen Unterstützung konnte die Regierung die islamistischen Milizionäre nicht verdrängen. Im Land herrscht Elend: Angesichts der andauernden Kämpfe sind nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef mehr als 350000 Zivilisten aus Mogadischu auf der Flucht, hunderte Menschen starben. Während die Regierung versagt, werden die Erfolge der Piraten von der Bevölkerung mit einer gewissen Bewunderung registriert. Diese treibt teils seltsame Blüten: In dem Dorf Bosasso beispielsweise verließen einige Lehrer ihre Klassenräume, um sich den Freibeutern als Übersetzer anzudienen. Mogadischu. Ladenbesitzer Hussein Mohammed Ibrahim ist ratlos. "Es scheint, dass dieser Krieg niemals endet", sagt der somalische Wäschereibesitzer. Weit entfernt von den Piratenbooten vor der Küste Somalias sitzt Hussein in seinem Geschäft in der Hauptstadt Mogadischu und macht sich auf neue Gefechte gefasst. Erst am Freitagmorgen kamen dort nach Augenzeugenberichten erneut mindestens elf islamistische Rebellen bei Kämpfen mit Regierungstruppen ums Leben.

Die Hauptstadt besteht mittlerweile größtenteils aus Ruinen. Seit 17 Jahren dauert der Bürgerkrieg in Somalia an, und ein Ende ist nicht in Sicht. Vor zwei Jahren gelang es der somalischen Armee mit Unterstützung der äthiopischen Truppen, die Islamisten zurückzudrängen. Doch heute sind die Aufständischen wieder in Mogadischu präsent und greifen dort somalische Soldaten und deren äthiopische Verbündete an.

Die Frau des Wäschers Hussein starb bei den jüngsten Kämpfen. Seitdem hat er Angst um sein Leben und das seiner vier Kinder. "Somalia ist erneut in den Händen der Islamisten. Nichts hat sich geändert in den letzten zwei Jahren, außer dass viele Unschuldige tot sind", sagt Hussein. Und diese Leiden der Bevölkerung seien in keinem Fall mit dem Piratenproblem vor Somalias Küste vergleichbar. Mittlerweile sind viele Somalis geflohen. Auch die äthiopische Armee hat schrittweise ihren Rückzug aus Mogadischu angekündigt. Die somalische Regierung selbst ist durch einen innenpolitischen Machtkampf zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Staatschef geschwächt und unfähig, ihre Macht zu behaupten. Damit haben die Islamisten und ihr militärischer Flügel, die Schebab-Rebellen, leichtes Spiel.

Erschöpft von der Gewalt hoffen viele, dass die Stadt möglichst schnell in die Hände der Islamisten fällt. Zumindest brächten die Islamisten ein Art von Frieden, sagt Teehändler Abdirahman Qoje. "Auch wenn einigen ausländischen Mächten dies nicht gefällt." afp

"Unser Leben hat sich durch die Lösegelder verbessert."

Abdi Garad, Chef einer Piratengruppe

Hintergrund

 Somalische Piraten treten in ihren Heimatdörfern als großzügige Unternehmer auf. Das sichert ihnen Sympathien. Foto: dpa

Somalische Piraten treten in ihren Heimatdörfern als großzügige Unternehmer auf. Das sichert ihnen Sympathien. Foto: dpa

Russland und die USA wollen ihren Kampf gegen die Piraterie verstärken. Dies kündigte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Samstag nach einem Treffen mit seiner US-Kollegin Condoleezza Rice beim Apec-Gipfel im peruanischen Lima an. "Es ist notwendig, dass wir diesen Teufel nicht nur in offenen Gewässern bekämpfen, sondern wir müssen auch versuchen, in Zusammenarbeit mit der Regierung von Somalia Ordnung an den Küsten des Landes herzustellen", sagte Lawrow. Auch der UN-Sicherheitsrat müsse eine größere Rolle spielen, forderte der russische Außenminister. afp

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