Aufräumen im Schlachtfeld des Tsunami

Penco/Porto Alegre. Was nicht von der Riesenwelle weggespült wurde, versinkt unter Schlamm, Sand und Algen. "Die Welle kam und hat einfach alles unter sich begraben. Sie war sechs Meter hoch", sagt Carlos Palma, während er in Penco an der chilenischen Küste nach Überbleibseln von seinem Hab und Gut sucht

Penco/Porto Alegre. Was nicht von der Riesenwelle weggespült wurde, versinkt unter Schlamm, Sand und Algen. "Die Welle kam und hat einfach alles unter sich begraben. Sie war sechs Meter hoch", sagt Carlos Palma, während er in Penco an der chilenischen Küste nach Überbleibseln von seinem Hab und Gut sucht. Verschlafene Städtchen wie Penco waren am wenigsten auf das gewaltige Erdbeben vom Samstag vorbereitet - und wurden am schwersten getroffen. "Wir haben Angst, dass das Meer wiederkommt", sagt Margarita Castro. Sie hat die Nacht mit ihren Eltern, Brüdern und dutzenden von Nachbarn in einem Zelt am Straßenrand verbracht, wie die meisten Einwohner von Penco. Die Stadt liegt etwa zehn Kilometer von Concepción entfernt, dem Epizentrum des Bebens der Stärke 8,8. Weiter im Landesinneren, in Santa Clara de Talcahuano, schluchzt ein alter Mann, als er eine Shampooflasche aus den Trümmern zieht. Sein Haus wurde bei der Katastrophe in zwei Hälften gerissen. "Hier sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld", sagt ein Taxifahrer, der vergeblich einen Weg durch Schutt und Schlamm sucht. Verschüttete bergen, Verletzte versorgen, Hilfsgüter an Obdachlose verteilen und Plünderungen unterbinden: Das war gestern in Chile das Gebot der Stunde. Noch immer stehen die Menschen im Katastrophengebiet unter Schock. In der Nacht hatte sich Concepción wegen der befohlenen Ausgangssperre in eine Geisterstadt verwandelt. Am Sonntag waren zahlreiche Supermärkte, Apotheken und kleinere Läden geplündert worden. Nun sollen 8000 Soldaten für Ruhe und Ordnung sorgen. "Wir sind keine Diebe", sagte ein Mann im Fernsehen. "Wir wollen schon zahlen, aber nichts funktioniert." Concepcións Bürgermeisterin Jacqueline van Rysselberghe machte die Regierung für das "Chaos" in ihrer Stadt verantwortlich: "Es darf doch nicht sein, dass die Menschen verhungern müssen." Am Montagmorgen hieß es, Polizisten hätten dort 55 Plünderer festgenommen. Unterdessen musste der Verteidigungsminister einen verhängnisvollen Fehler einräumen: Die Marine habe es nach dem Beben unterlassen, vor einem Tsunami zu warnen. In ganz Chile kamen nach Regierungsangaben mindestens 711 Menschen ums Leben, hieß es am Sonntagabend. Aber die Zahl wird weiter steigen. "An der Küste hat ein Tsunami ganze Ortschaften fortgerissen", erklärte Innenminister Edmundo Pérez Yoma. "Je mehr Zeit vergeht, desto mehr schlechte Nachrichten werden wir bekommen." Vor allem in und um Concepción spielten sich apokalyptische Szenen ab. Allein 353 Tote wurden aus der Gemeinde Constitución gemeldet. Den ganzen Sonntag schleppten Helfer vom Meer angespülte Leichen in die Sporthalle der Kleinstadt und bahrten sie dort auf. Augenzeugen berichteten, meterhohe Sturmwellen seien über den Ort hereingebrochen. "Die Autos schwammen wie Fische", erinnert sich ein Bewohner. Mittlerweile sind die ersten Hilfslieferungen angelaufen. Aus Argentinien wurden drei Feldlazarette geliefert. Die Regierung bat um Rettungsexperten, Statiker, Behelfsbrücken, Kommunikationseinrichtungen, Wasserentsalzungsanlagen und um Unterstützung für Krankenhäuser. Anders als beim Erdbeben in Haiti halten sich deutsche Hilfsorganisationen mit Einsätzen vor Ort bislang zurück. Auch die Spendenbereitschaft werde nach Einschätzung der Caritas wohl geringer ausfallen. Wieviel gespendet wird, habe viel mit der Lebenssituation in dem betroffenen Land zu tun. Im bitterarmen Haiti sei die humanitäre Not größer gewesen, sagte Caritas-Sprecher Oliver: "Aber wir dürfen die Lage in Chile nicht unterschätzen."

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