Auf Umwegen zum Sparzwang für alle

Sparen wird Pflicht. Was die Menschen von diesem Beschluss des EU-Gipfels halten, machten die Belgier den 27 Staats- und Regierungschefs gestern erst einmal spürbar klar: Das gesamte Land stand wegen eines Generalstreiks still

Sparen wird Pflicht. Was die Menschen von diesem Beschluss des EU-Gipfels halten, machten die Belgier den 27 Staats- und Regierungschefs gestern erst einmal spürbar klar: Das gesamte Land stand wegen eines Generalstreiks still. Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde - wie auch alle anderen Gäste - zum Luftwaffenstützpunkt Beauvechain umgeleitet und musste die restlichen 40 Kilometer mit dem Auto fahren - vorbei an Demonstranten mit Plakaten wie "Stoppt das Spardiktat". Im Ratsgebäude angekommen, wurde dieser Sparzwang allerdings erst einmal beschlossen: Die Staaten wollen eine Schuldenbremse in den Verfassungsrang erheben und sich gegenseitig versprechen, künftig solide zu wirtschaften. Großbritannien und Tschechien machen bei dem Vertrag allerdings nicht mit.Das klingt strikter, als es in der Praxis sein wird. Einige Länder müssten für eine Verfassungsänderung eine Volksabstimmung durchführen, was man tunlichst vermeiden will. Und auch die ursprüngliche Idee, hartnäckige Schuldensünder vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen zu können, musste aus rechtlichen Gründen eingeschränkt werden: Nicht die Kommission soll deshalb als Ankläger auftreten, sondern einer oder mehrere Mitgliedstaaten. "Das wird nicht funktionieren", sagen Kritiker. "Da hackt doch keine Krähe einer anderen die Augen aus." Trotzdem billigten die Staats- und Regierungschefs den Text. Und machten klar: Wer sich nicht an solides Wirtschaften hält, wird bestraft und muss in die Gemeinschaftskasse einzahlen - bis zu 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Und außerdem gilt: Nur wer sich dazu verpflichtet, kann in klammen Zeiten mit Unterstützung vom neuen Europäischen Krisenmechanismus (ESM) rechnen, den die Staats- und Regierungschefs gestern Abend billigten. Dass er mit 500 Milliarden Euro ausgestattet wird, steht fest. "Die meisten wissen, dass das nicht reicht", hieß es schon vor Beginn des Treffens aus den Reihen der österreichischen Delegation. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt mehr Geld ab - bisher. Aber erste Signale des Umdenkens gibt es bereits. In Berlin durfte Unionsfraktionschef Volker Kauder diese gestern verkünden: "Im Augenblick sehe ich keine Notwendigkeit, aber ich kann es auch nicht ausschließen nach dem Motto: Das kommt überhaupt nicht." Die Erhöhung wird kommen, ist man sich in Brüssel sicher. Spätestens im März, wenn die Euro-Mitglieder Kassensturz machen. Merkels Umfaller ist für viele nur noch eine Frage der Zeit.

Derweil bemühte sich Ratspräsident Herman Van Rompuy eifrig, keinen Streit über Zahlen aufkommen zu lassen. "Wir müssen jetzt vor allem Wachstum und Arbeitsplätze schaffen", betonte er. Gesagt, getan: Jeder vierte arbeitslose Jugendliche soll ein Angebot für Umschulung oder Weiterbildung bekommen. Kleine und mittelständische Unternehmen dürfen auf Erleichterungen für den Binnenmarkt hoffen, und zusätzlich soll es Impulse zugunsten der grenzüberschreitenden Wirtschaft geben - vor allem im Bereich Digitales.

Das Programm ist zwar nicht neu, sondern lediglich eine Kopie der Ziele, die Kommissionspräsident José Manuel Barroso in seiner "Europa-2020-Strategie" formuliert hatte. Aber das Bemühen, dieses vierstündige Sondertreffen zu einem "Gipfel der Hoffnung" zu machen, wie Van Rompuy es formulierte, war unübersehbar. Denn schließlich sollten die Menschen spüren: "Das Ziel ist ein besseres Leben für alle." "Das Ziel ist ein besseres Leben

für alle."

EU-Ratspräsident Herman

Van Rompuy

Meinung

Mehr Geld ist keine Lösung

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Die Schuldenkrise ist zum Poker um astronomische Summen verkommen. Es ist zweifellos wichtig, dass die inzwischen viel zitierte "Brandmauer" dick genug ausfällt, damit kein Feuer überspringt und nach Griechenland auch weitere Länder ansteckt. Aber das täglich neue Geschacher um immer höhere Beträge für den Rettungsschirm oder den neuen dauerhaften Krisenmechanismus führt nicht weiter. Sie verdeckt sogar die weitaus wichtigeren Weichenstellungen dieses Gipfeltreffens, bei denen es eben nicht nur um Strukturen zur Sicherung stabiler Haushalte in Zukunft geht, sondern um begleitende, vorbeugende Hilfe.

Der Vertrag zur Stabilitätsunion ist zwar nicht so hart geworden, wie er immer gefordert worden war. Gleichwohl darf man hoffen, dass er ein Fortschritt gegenüber dem finanzpolitischen Egoismus in dieser Union sein kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Euro-RettungSchicksals-Gipfel in Brüssel: Die EU-Staats- und Regierungschefs haben einen erneuten Anlauf unternommen, die Schulden- und Bankenkrise in den Griff zu bekommen. Zuvor gab der Bundestag Kanzlerin Angela Merkel für die Ausweitung des Rettungssc
Euro-RettungSchicksals-Gipfel in Brüssel: Die EU-Staats- und Regierungschefs haben einen erneuten Anlauf unternommen, die Schulden- und Bankenkrise in den Griff zu bekommen. Zuvor gab der Bundestag Kanzlerin Angela Merkel für die Ausweitung des Rettungssc
Aus dem Ressort