Auf Kairos Müllhalde riecht es nicht mehr

Kairo/Merzig. Kairo ist Chaos. Staus ohne Ende. Schwarze Abgas-Wolken hüllen die Stadt ein. Menschenmassen überall. Der süßliche Geruch des Mülls in den Straßen besorgt den Rest. Das Taxi quält sich durch die Verkehrshölle. Kairo stinkt

Kairo/Merzig. Kairo ist Chaos. Staus ohne Ende. Schwarze Abgas-Wolken hüllen die Stadt ein. Menschenmassen überall. Der süßliche Geruch des Mülls in den Straßen besorgt den Rest. Das Taxi quält sich durch die Verkehrshölle. Kairo stinkt. Wie wird das erst draußen sein, in Moytamadea, auf der Müllhalde? Unser Besuch gilt nicht den Zeugnissen der ägyptischen Vergangenheiten, die heute vor allem Russen und Chinesen ins Land bringen. Ziel ist die trübselige Gegenwart: Die "Zabbalin" genannten Müllsammler auf einer der sechs großen Kairoer Halden. Die meisten sind Christen, Kopten, wie zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung. Seit Generationen sammelten sie den Kairoer Müll ein und verfütterten ihn an Schweine. Ihr Lebensunterhalt.

Früher hausten sie in Blech- und Pappverschlägen, direkt auf dem Müll. Sie waren Analphabeten, keine Schule weit und breit. Bis ihnen die Tatkraft der deutschen Schwester Maria Grabis im Verlauf von über 30 Jahren zu festen Häuschen und einer Schule verhalf - finanziert vor allem mit Spenden aus dem Saarland. Die Schule, in die seit 1988 erst wenige, schließlich fast alle Kinder der Müllmenschen gehen, ist in Kairo für die Qualität ihrer Abschlüsse berühmt. Die Saarbrücker Zeitung hat oft darüber berichtet.

Moytamadea, vor drei Jahren. Neben der Schule quiekten die Schweine. Die Männer fuhren täglich mit ihren Karren zum Müllsammeln, die Frauen nähten. Es stank, nach Schweinen und Rauch, Restmüll wurde an Ort und Stelle verbrannt.

Moytamadea heute. Einige Häuschen sind hell gestrichen, viele aufgestockt. Es ist eng, die Sonne dringt nicht in die Straßen. Aber der Geruch nach Rauch und Schweinen ist weg. Die Luft ist fast schon frisch. Ein paar ältere Koptinnen mit Kopftüchern, wie sie hier auch Christen tragen, sitzen vor den Türen, beobachten uns. Eine kommt gelaufen, eine gestickte Tasche in der Hand. Ob wir ihr die abkaufen? Machen wir.

Gleich links der Eingang zur Schule. Die ist seit dem Besuch vor drei Jahren um zwei weitere Stockwerke und Anbauten gewachsen, Schlichtbauweise, ordentlich und sauber. Direktor Moody Fayek, proper in Anzug und Krawatte, und Schulmanager Nabil warten schon, lassen uns in die Klassen schauen. Es ist eng. Schülerinnen und Schüler sitzen an akkurat gestellten Tischen und Stühlen vor kargen, blauen Wänden. Für die Fremden stehen sie auf. 420 Jungen und Mädchen bietet die Schule Platz, Kopten und Muslimen. Buntes Treiben im Kindergarten. Vom Dach sieht man, wie die Schule in den letzten Jahren gewachsen ist. Daneben scheinbar halbfertige Häuser, Betonpfeiler mit herausstehender Armierung ragen in die Luft. Satellitenschüsseln sind zu sehen, Wellblechverschläge. Ein paar Ziegen dösen in den Gassen. Schweine sind nicht zu finden. Die Verschläge hinter den Häuschen sind leer.

"Ja, es sind restlos alle Schweine getötet worden, tausende" sagt Nabil. Die Angst vor der Schweinegrippe war den muslimischen Behörden im vergangenen Jahr ein willkommener Vorwand, die verhassten, im Islam als unrein geltenden Tiere der Kopten loszuwerden. In ausgehobene Gräben habe man sie getrieben und Erde drauf geschüttet. "Schrecklich, das Grunzen!", sagt Moody Fayek. Die Müllleute verteidigten ihre Tiere. Vergebens. "Und weil sie jetzt keine Schweine mehr haben, sammeln die Zabbalin auch keinen Müll mehr ein", sagt er. Was sollten sie damit anfangen?

Nun stinkt es in Kairos Straßen noch mehr nach Müll - auf der Müllhalde weniger. Aber die "Zabbalin" haben kein Einkommen mehr. Sozialhilfe gibt es in Ägypten nicht. Ein Lehrer meldet sich zu Wort: "Die ersten Zabbalin haben in ihrer Not schon ihre selbst gebauten Häuschen verkauft, leben wieder in Blechverschlägen - und melden ihre Kinder von der Schule ab, weil sie das Schulgeld nicht mehr bezahlen können." Damit die Müll-Kinder weiter in die Schule gehen können, springt zunächst der "Hilfsfonds Schwester Maria" in Borken in Westfalen ein und zahlt für die Ärmsten das Schulgeld, das in Ägypten immer anfällt. "Das ist ihre einzige echte Lebenschance - in Ägypten können über 50 Prozent der 15-Jährigen nicht lesen und schreiben", erläutert Monsignore Joachim Schroedel, Vatikan-Beauftragter für die Katholiken im Nahen und Mittleren Osten und mit uns unterwegs.

"Und wie erträgt Schwester Maria all das?", fragen wir. Und erfahren: Sie hat das Gedächtnis verloren. Hat vergessen, wie sie, Nonne im Orden der Salvatorianerinnen, 1969 als Schulschwester nach Kairo kam, die Karren sah, auf denen früh morgens die Kinder den Müll sortierten, statt in die Schule zu gehen. Die Blechverschläge im stinkenden Müll, in denen die Familien hausten, umgeben von Schweinen und fetten Ratten. Wie sie beschloss, "Hilfe zur Selbsthilfe" zu leisten, Mitstreiter gewann - etwa den damaligen evangelischen Pfarrer in Kairo, Johannes Unkrig, dessen Söhne heute den "Hilfsfonds Schwester Maria" betreuen.

Und eben die Saarländer: 1978 war die erste Reisegruppe der Christlichen Erwachsenenbildung (CEB) Merzig hier, ihr damaliger Leiter Georg Hasenmüller lernte Schwester Maria kennen. Von da an kamen alle CEB-Gruppen von der Saar jährlich auf die Müllhalden. Grausten sich. Wollten helfen. Rund eine Million Mark kam etwa durch Basare im Saarland zur Schwester und 400 Nähmaschinen für die Frauen der Zabbalin. Eine weitere Hilfsaktion hat Joachim Graumann im Neunkircher Krebsberg-Gymnasium gestartet. "Die Saarländer sind eine Säule meiner Arbeit", hat die Schwester stets gesagt. Wir haben sie besucht. 83 Jahre alt ist sie und ganz schmal geworden. Wohnt immer noch mitten in Kairo. Gleich um die Ecke ist die Kirche "Marie de la paix", dorthin geht sie jeden Morgen zum Gottesdienst. Sie begrüßt uns freundlich, erkennt uns aber nicht. Die Schweine-Katastrophe ist nicht mehr in ihr Bewusstsein gedrungen. Aber auch vom Erfolg "ihrer" Schule weiß Schwester Maria leider nichts mehr.

Auf einen Blick

Einzelne oder Gruppen können für Schulkinder in Moytamadea Patenschaften übernehmen. Das Schulgeld beträgt pro Jahr zwischen 140 und 167 Euro. Auch soll jedem Kind ein Apfel pro Woche bezahlt werden. Kontakt: CEB Merzig, Tel. (0 68 61) 9 30 80. Kontonummer: 755 093 505, Volksbank Untere Saar, BLZ 593 922 00 ("Moytamadea"). tb

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