Auf der Insel ist „Anti“ voll im Trend

London · Zahlreiche Skandale leistete sich die britische Unabhängigkeitspartei im Wahlkampf. Trotzdem geht die Ukip heute mit besten Chancen in die Europawahl. Ihr Erfolg rührt vor allem aus der Enttäuschung vieler Briten über die traditionellen Parteien.

Das "Anti" könnte heute auf der Insel triumphieren: Anti-Immigration, Anti-EU, Anti-Establishment, Anti-Sozialstaat - die Unabhängigkeitspartei Ukip mit ihrer Widerstandspolitik hat gute Chancen, in Großbritannien stärkste politische Kraft bei der Europawahl zu werden. Kurz vor dem Urnengang sahen Umfrage-Institute die Europafeinde in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der oppositionellen Labour-Partei, die mehrheitlich für einen Verbleib in der EU steht, aber Reformen fordert.

Die Ukip verdankt ihren Erfolg vor allem ihrem Vorsitzenden Nigel Farage. Dieser lieferte mit hartnäckiger Dauer-Medienpräsenz simple Antworten auf komplexe Fragen und gab sich in seiner Lieblingspose mit Bier im Pub besonders volkstümlich. Seine Kernthemen haben den politischen Dialog übernommen: Die vermeintliche Invasion der EU-Ausländer, die Forderung nach einem sofortigen Austritt aus der Union und die Kritik am Polit-Establishment in Westminster.

Bereits jetzt stellen die EU-Hasser neun Europaabgeordnete, nachdem sie bei der vergangenen Wahl zweitstärkste Kraft wurden. Jetzt könnten sie tatsächlich das "Erdbeben" verursachen, das Farage angekündigt hat - trotz Entgleisungen von Parteimitgliedern, die in den vergangenen Wochen regelmäßig zutage kamen. Nicht nur die extrem EU-feindliche Plakatkampagne mit ihren teilweise falschen Behauptungen, auch alle homophoben, islam- oder fremdenfeindlichen Fehlgriffe von Parteimitgliedern sind bislang an der Popularität der Ukip abgeprallt. Auch Nigel Farage selbst löste vor wenigen Tagen eine Kontroverse aus, nachdem er behauptete, dass er beunruhigt wäre, wenn Menschen aus Rumänien neben ihn ziehen würden. Mit Deutschen wäre das eine andere Sache, fügte er hinzu. Seine Ehefrau ist Deutsche und arbeitet bei ihm als seine Sekretärin. Zwar ruderte Farage kurze Zeit später zurück und meinte, die breite Mehrheit der Menschen aus dem osteuropäischen Land seien gute Nachbarn, doch viele Politiker und Medien wollten in seinen Aussagen sein wahres Gesicht erkannt haben.

Die Konservativen unter Premierminister David Cameron - bei der vergangenen Europawahl gingen sie als stärkste Kraft hervor - stellen sich aber bereits auf eine Pleite ein, Umfragen sehen sie lediglich auf dem dritten Rang. Für den kleinen Koalitionspartner, die Liberaldemokraten unter Nick Clegg, stehen die Chancen schlecht, überhaupt einen Sitz im Europaparlament zu erhalten.

Die großen Parteien haben kein Rezept entwickelt, wie sie mit der Ukip umgehen sollen. Farage fischt im großen Gewässer, nicht mehr nur in kleinen, abseitigen Seen. Indem er sich unaufhörlich von der "Elite" abzugrenzen versucht, trifft er den Nerv vieler Briten. Sie sind von den traditionellen Parteien enttäuscht und sehen in Farage eine Alternative. Dabei teilt er die privilegierte Herkunft und ist längst Teil des Polit-Establishments. Er sitzt seit 15 Jahren im Europaparlament und profitiert als Abgeordneter vom System der EU.

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Auf einen BlickZahlen und Fakten zur Europawahl:Es ist der 8. Urnengang seit der ersten Direktwahl im Jahr 1979.Das neue Parlament wird 751 Abgeordnete haben. Derzeit sind es 766, davon 34 Prozent Frauen.Die Zahl der Sitze wird anhand der Einwohner der einzelnen Mitgliedsländer festgelegt. Deutschland bekommt deshalb die meisten Mandate - diesmal werden es 96 sein. Besonders kleine Länder bekommen einen Bonus - dadurch können Luxemburg, Malta, Estland und Zypern jeweils sechs Abgeordnete entsenden.Offizieller Sitz des Parlaments ist Straßburg, wo auch die zwölf monatlichen Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung stattfinden. Weitere Plenartagungen sind in Brüssel. Dort treten auch die Ausschüsse des Europäischen Parlaments zusammen.Der Pendelverkehr zwischen Brüssel und Straßburg kostet Kritikern zufolge bis zu 200 Millionen Euro im Jahr. dpa/afp

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