Auch die CDU holt ihre Ost-Geschichte einDeutsche Sprache ins Grundgesetz: Wie CDU-Delegierte ihren Willen durchsetzen

Das Thema weckt Emotionen. "Eine reine West-Debatte ist das", schimpfte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff. Und fügte hinzu: "Wo schreiben denn die West-Linken mal in ihre Lebensläufe, dass sie uns in der DDR längst aufgegeben hatten?" Haseloff gehört zu den Mitautoren eines Leitantrages mit dem Titel "Geteilt. Vereint

 Zwei in einem Boot: Joachim Herrmann (links), SED-Politbüromitglied, überbringt im Oktober 1987 auf dem 16. Parteitag der DDR-CDU im Kulturpalast Dresden die Grußadresse des Zentralkommittees der SED an den Vorsitzenden der CDU, Gerald Götting. Foto: dpa

Zwei in einem Boot: Joachim Herrmann (links), SED-Politbüromitglied, überbringt im Oktober 1987 auf dem 16. Parteitag der DDR-CDU im Kulturpalast Dresden die Grußadresse des Zentralkommittees der SED an den Vorsitzenden der CDU, Gerald Götting. Foto: dpa

Das Thema weckt Emotionen. "Eine reine West-Debatte ist das", schimpfte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff. Und fügte hinzu: "Wo schreiben denn die West-Linken mal in ihre Lebensläufe, dass sie uns in der DDR längst aufgegeben hatten?" Haseloff gehört zu den Mitautoren eines Leitantrages mit dem Titel "Geteilt. Vereint. Gemeinsam", mit dem die CDU auf ihrem Stuttgarter Parteitag rechtzeitig zum bevorstehenden 20. Jahrestag des Mauerfalls die "Interpretationshoheit" (Haseloff) über die Wiedervereinigung und den Aufbau Ost zurückerlangen wollte. Vor allem wollte man sich für den Bundestagswahlkampf klar von der Linkspartei absetzen, weswegen sie in dem Papier als "umbenannte SED" bezeichnet wird. "20 Jahre nach dem Ende der DDR darf es kein Vergessen und Verdrängen geben", heißt es im Text.

Viel zu verdrängen

Doch so einfach ist die Welt nicht. Auch die CDU hat eine Ost-Vergangenheit und viel zu vergessen und zu verdrängen. Sie war im Osten bis 1989 Blockpartei an der Seite der SED. Nach der Wende wurde sie zusammen mit der ebenfalls linientreuen Bauernpartei und der Bürgerrechtsorganisation "Demokratischer Aufbruch" zur neuen CDU verschmolzen. Nun sind in ihr Menschen mit sehr unterschiedlicher Vergangenheit Mitglied. Solche, die nach 1945 als Christen bewusst nicht in die SED eingetreten waren. Bürgerbewegte, zu denen 1989 auch Angela Merkel gehörte. Menschen, die in den letzten Jahren neu eintraten. Und System-Mitläufer wie der heutige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich, dessen Lebensgeschichte die Parteitagsdebatte überschattete. Denn kurz vor dem Stuttgarter Treffen war berichtet worden, dass Tillich zu DDR-Zeiten nicht nur als stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz wirkte, was bekannt war, sondern in dieser Funktion auch an Kaderschulungen teilgenommen hatte. Das hatte Tillich in seiner Biografie verschwiegen. Aus Sicht Haseloffs, der als früherer Bürgerbewegter hier unverdächtig ist, ist das nicht verwerflich. "Das sind Angaben, deren wirkliche Bedeutung ihr im Westen sowieso nicht versteht".

Der ursprüngliche Entwurf des Leitantrages ging auf die Mitverantwortung der Block-CDU für das DDR-Regime mit keinem Wort ein. Das habe man, sagte Haseloff, alles doch schon mehrfach beschlossen.

Auch Arnold Vaatz, in der Wendezeit prominenter Bürgerrechtler und heute CDU-Bundestagsabgeordneter aus Sachsen, fand: "Man muss nicht alles zwei Mal sagen." Die CDU habe ihre Vergangenheit durchaus aufgearbeitet und auch das zu DDR-Zeiten erworbene Parteivermögen abgegeben.

Einen derart kritiklosen Umgang mit der eigenen Geschichte mochten aber Teile der Basis nicht hinnehmen. Der Kreisverband Halle stellte einen Antrag, in dem das Wirken der CDU in der DDR ausführlich dargestellt wurde: "Wir bekennen uns zur Geschichte der CDU als Blockpartei". Die Parteiführung entschärfte die aufkommende Debatte schon im Vorfeld und nahm in das Papier die Formulierung auf, dass "die CDU in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt" hat. So wurde es einstimmig beschlossen. Tillich selbst war an dieser Ergänzung beteiligt.

An anderer Stelle vermieden die Delegierten aber eine Änderung. In dem Beschluss heißt es, dass die Union "eine Zusammenarbeit mit der Partei die Linke, den politischen Erben der totalitären SED, ablehnt". Die Junge Union forderte, die Worte "auf allen Ebenen" einzufügen. Doch der CDU-Nachwuchs fand dafür in Stuttgart keine Mehrheit. Denn in zahlreichen Kommunalparlamenten des Ostens kooperieren Linkspartei und CDU auf das Beste miteinander. Viele kennen sich von früher.Stuttgart. Fast bei jedem Parteitag gibt es einen Punkt, an dem die Delegierten der Führung zeigen, dass sie ihren eigenen Willen haben. Bei der CDU war es gestern überraschend die deutsche Sprache. Gerade hatten die Delegierten Platz genommen, als Tagungsleiterin Maria Böhmer den "sonstigen Antrag" C 16 des Landesverbandes Saarland aufrief. Wortlaut: "Die CDU Deutschlands setzt sich für die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz ein. Dies soll durch einen Zusatz in Artikel 22 erfolgen mit dem Wortlaut: ,Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch.'"

Parteiführung ablehnend

Die Parteiführung wollte die Sache elegant erledigen, indem sie die Überweisung an die Unions-Bundestagsfraktion vorschlug, wo der Vorstoß mit anderen Vorschläge für neue Grundgesetzergänzungen wie dem Bekenntnis zum Sport oder der Kultur beraten werden sollte. Doch relativ rasch war zu merken, dass dies gar nicht im Sinne des Parteivolks war. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla eilte zwar noch zum Rednerpult, um sich für seine Lösung stark zu machen. Dann konterte aber Saarlands Ministerpräsident Peter Müller persönlich: Die Partei müsse sich klar dazu bekennen, "was den Staat ausmacht". Neben der Flagge gehöre dazu auch die deutsche Sprache. Einen Augenblick später wurde für seinen Antrag die große Mehrheit der Stimmkarten nach oben gezeigt.

Ein Bekenntnis zur deutschen Sprache? War das nicht vor einigen Jahren Teil dessen, was die CDU als Leitkultur verstanden hatte? Werden nun mit dem Wunsch nach Verankerung der deutschen Sprache nicht wieder auch gleichzeitig die ausgegrenzt, die eine andere Muttersprache haben? Die Türkische Gemeinde reagierte jedenfalls alarmiert. Auch Angela Merkel bedauerte den Beschluss: "Ich persönlich finde es nicht gut, alles ins Grundgesetz zu schreiben."

Weiter Streit um Steuerkurs

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann bezeichnete den CDU-Beschluss als überflüssig. "Die Amtssprache ist Deutsch, ansonsten werden bei uns viele Sprachen gesprochen", sagte er der "Welt". Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Muss ich als Schwabe jetzt Hochdeutsch sprechen?"

Zum Abschluss des CDU-Parteitages in Stuttgart schwor Parteichefin Angela Merkel die Union noch einmal auf die Wahlkämpfe im nächsten Jahr ein. Zum Steuerstreit sagte die CDU-Chefin, bis zum Frühjahr müsse ein "glaubwürdiges, gemeinsames Konzept" ausgearbeitet werden. Mit dem in Stuttgart beschlossenen Leitantrag sei bereits einiges deutlich vorangebracht worden. Darin werden Steuersenkungen für die Zeit nach der Wahl 2009 angekündigt.

Die CSU kritisierte die Steuerbeschlüsse der Schwesterpartei. CSU-Chef Horst Seehofer, der wegen der Krise bei der BayernLB nicht zu dem Parteitag gekommen war, griff Merkels Steuerkurs an: "Ich halte die Festlegung, auf rasche Steuersenkungen zu verzichten, schlicht und einfach für falsch." dpa/afp

Meinung

Merkels Affront

Von SZ-Korrespondent

Hagen Strauß

Die Ärmel kräftig hochgekrempelt hat Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart wahrlich nicht. Welche konjunkturpolitische Richtung sie tatsächlich für das Krisenjahr 2009 einschlagen will, ist diffus geblieben. Und dass Merkel die Debatte darüber auf Gremiensitzungen der Koalition im Januar vertagt, müssen die Delegierten als Affront empfunden haben. Merkel hat agiert wie die Kanzlerin, die mühsam ihre Regierung zusammenhalten will. Aber nicht wie die CDU-Vorsitzende, die ihrer Partei für das Wahljahr Inspiration und Schwung verleihen muss. Deshalb verwundert es nicht, dass der Burgfrieden im Streit um rasche Steuerentlastungen nur einen Tag gehalten hat. Während Merkel in der Ruhe ihre Kraft sieht, spielt die CSU weiter den Antreiber. Dahinter stecken nicht allein bessere ökonomische Einsichten. Erstens muss der neue CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sein Profil schleunigst schärfen, zweitens aber sitzt der Stachel tief, dass Merkel der CSU im bayerischen Landtagswahlkampf die Unterstützung versagt hat. Man kann das kleinmütig nennen, was die Bayern derzeit vollführen. Zumindest aber haucht der Steuerstreit der blassen Union ein wenig Lebendigkeit ein. Wenn es eine Botschaft von Stuttgart gibt dann die: Die CDU Merkels steht ihrem Partner in der Koalition, der SPD, derzeit viel näher als ihrem Wunschpartner FDP.

 Zwei in einem Boot: Joachim Herrmann (links), SED-Politbüromitglied, überbringt im Oktober 1987 auf dem 16. Parteitag der DDR-CDU im Kulturpalast Dresden die Grußadresse des Zentralkommittees der SED an den Vorsitzenden der CDU, Gerald Götting. Foto: dpa

Zwei in einem Boot: Joachim Herrmann (links), SED-Politbüromitglied, überbringt im Oktober 1987 auf dem 16. Parteitag der DDR-CDU im Kulturpalast Dresden die Grußadresse des Zentralkommittees der SED an den Vorsitzenden der CDU, Gerald Götting. Foto: dpa

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