Auch der französische Atomkonsens bröckelt

Flamanville. Am Fuß der steinernen Stele steht eine Schale mit blühendem Heidekraut. "Den unbekannten Strahlenopfern" steht in roter Schrift darauf, die Buchstaben sind frisch ausgemalt. Etwa drei Dutzend Atomkraftgegner haben sich gleich nach der Katastrophe in Japan dort versammelt, in der Nähe der Baustelle des EPR-Reaktors in Flamanville

Flamanville. Am Fuß der steinernen Stele steht eine Schale mit blühendem Heidekraut. "Den unbekannten Strahlenopfern" steht in roter Schrift darauf, die Buchstaben sind frisch ausgemalt. Etwa drei Dutzend Atomkraftgegner haben sich gleich nach der Katastrophe in Japan dort versammelt, in der Nähe der Baustelle des EPR-Reaktors in Flamanville. Sie protestieren gegen die französische Atompolitik.Noch sind sie eine winzige Minderheit, doch die Ereignisse in Japan könnten das ändern. "Die Menschen hier haben Angst vor den Risiken der Atomkraft, aber viele haben den Kopf in den Sand gesteckt", meint Didier Anger von der Anti-Atomkraftbewegung "Sortir du nucléaire".

In dem Dörfchen Flamanville war das Thema Reaktorsicherheit bislang weitgehend tabu. "Wir haben Vertrauen, dass unsere Kraftwerke sicher sind", sagt ein Blumenhändler auf dem Wochenmarkt. Was in Japan passiert sei, könne niemals in Frankreich geschehen. Aber nun wächst das Unbehagen. So ganz sei der französischen Regierung nicht zu trauen, meint er.

Die EPR-Baustelle und die bereits Ende der 70er Jahre gebauten Atomkraftwerke am Ufer des Ärmelkanals haben Steuergelder in die Gemeindekassen gespült.

Anfangs hatte es Proteste gegen die Ansiedlung der Atomkraftwerke gegeben. Aber die seien abgeflaut, erinnert sich der 72 Jahre alte Anger. "Die Angst vor der Atomkraft wurde von der Angst vor der Arbeitslosigkeit überlagert." In dem Zipfel der Normandie, der in den Ärmelkanal hineinragt, ist die Atomindustrie ein wichtiger Arbeitgeber: von den Kraftwerken in Flamanville bis zur Wiederaufbereitungsanlage in La Hague. Allein auf der EPR-Baustelle sind derzeit 3400 Menschen beschäftigt, die Hälfte stammt aus der Region.

Die französischen Atomkraftgegner haben nur wenig Hoffnung, dass sich der Bau des EPR-Reaktors noch stoppen lässt. Das zylinderförmige Reaktorgebäude ist so gut wie fertig, in wenigen Monaten soll die Kuppel aufgesetzt werden. Nach Angaben des Stromkonzerns EDF ist der Reaktor so gebaut, das er selbst den Aufprall eines abstürzenden Flugzeugs überstehen würde. Ans Netz soll er 2014 gehen, zwei Jahre später als ursprünglich geplant. "Wir verlangen nicht einmal den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft, aber ein Ausstieg in fünf bis zehn Jahren sollte das Ziel sein", meint Anger. Er hoffe, dass in Folge der Katastrophe in Japan die Stimmung in Frankreich umschlage und der allgemeine Atomkonsens bröckele. Tatsächlich liegt Frankreich mit seinen 58 Reaktoren nach den USA weltweit an zweiter Stelle und nutzt zu 80 Prozent Atomstrom.

Präsident Nicolas Sarkozy hat bereits erklärt, dass ein Ausstieg für Frankreich weiterhin nicht infrage komme. Einer seiner Berater mutmaßte sogar, dass die französischen Atomexporte von den Ereignissen in Japan profitieren könnten, da diese die Nachfrage nach besonders sicheren Atomkraftwerken steigerten.

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