Atomstrom unter dem Hammer?

Berlin. Zwei Vorgaben erhitzen die Gemüter in der schwarz-gelben Koalition: Die Laufzeiten der Atomkraftwerke sollen verlängert werden. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will ab 2011 jedes Jahr 2,3 Milliarden Euro von der Atomwirtschaft - egal auf welchem Weg

Berlin. Zwei Vorgaben erhitzen die Gemüter in der schwarz-gelben Koalition: Die Laufzeiten der Atomkraftwerke sollen verlängert werden. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will ab 2011 jedes Jahr 2,3 Milliarden Euro von der Atomwirtschaft - egal auf welchem Weg. Umweltminister Norbert Röttgen (Foto: ddp) brachte nun ein neues Modell ins Gespräch und damit Opposition und Umweltschützer heftig gegen sich auf: Der CDU-Politiker will verlängerte Restlaufzeiten der Atommeiler versteigern, statt sie den Betreibern von Kernkraftwerken zuzuteilen.Warum kommt Röttgen jetzt mit diesem Vorstoß?Im Kern geht es darum, aus dem erbitterten Atomstreit einen Konsens zu machen und die Akzeptanz für einen Ausstieg aus dem Atomausstieg zu erhöhen. Die vier Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sowie deren Aktionäre würden von einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke direkt profitieren, die Masse der Bürger aber allenfalls indirekt. Zusatzgewinne der Konzerne sollen daher abgeschöpft und Kosten für Atommüll geteilt werden. Allerdings wissen allein die Konzerne, was längere Laufzeiten brächten. Die Politik will sich nicht dem Verdacht von Kungelei aussetzen und prüft daher eine Versteigerung.Worum geht es genau?Vorbild ist die Auktion von UMTS-Mobilfunklizenzen im Jahr 2000, die damals gut 50 Milliarden Euro für den Bund brachte. Im Fall Atomstrom würde die Regierung zusätzliche Laufzeiten in Strommengen umrechnen, die die Betreiber dann in kleinen Portionen ersteigern müssten. Die Hoffnung ist, dass nur wenige potenzielle Bieter mit hohen Einsätzen mitmischen. Die zusätzlich gewährten "Reststrommengen" würden also nicht mehr kostenlos zugeteilt, wie dies beim früheren Beschluss zum Atomausstieg der Fall war. Stattdessen müsste ein Betreiber jetzt Lizenzen für jede weitere Strommenge erwerben, die er zusätzlich zu den damals vereinbarten Reststrommengen produzieren möchte.Wie viel Atomstrom könnte versteigert werden?Das hängt letztlich von der Laufzeitverlängerung ab. In der Union wird mit acht bis zwölf Jahren gerechnet - dann könnte der Bundesrat umgangen werden. Dann dürfte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hatte bei einer Laufzeitverlängerung um acht Jahre einen Wert von etwa 56 Milliarden Euro ermittelt. Tatsächlich dürfte der Wert laut RWI deutlich höher liegen. Bei derartigen Erlösen kann laut RWI davon ausgegangen werden, dass die Konzerne solange um jede Terawattstunde mitbieten, bis es sich für sie betriebswirtschaftlich nicht mehr lohnt.Was wird an einer Versteigerung hauptsächlich kritisiert?Die Sicherheitsfrage. Hat der Staat erst einmal Geld kassiert, werde der Druck auf Behörden, Reaktoren auch bei Sicherheitsmängeln weiter laufen zu lassen, erheblich steigen, kritisiert Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe. Es sei unverantwortlich, die ältesten, gegen terroristische Angriffe völlig unzureichend geschützten Reaktoren gegen Geld am Netz zu lassen. Soll es denn für alle AKW eine Laufzeitverlängerung geben?Darüber gibt es Streit, auch Umweltexperten der schwarz-gelben Koalition warnen davor, alle 17 Anlagen über einen Kamm zu scheren. Zudem verweisen vereinzelt Koalitionspolitiker darauf, dass schon jetzt ein Teil des Atomstroms überflüssig sei. Deutschland habe im ersten Quartal mehr Strom erzeugt als verbraucht wurde. Meinung

Kein unmoralisches Angebot

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff Ein unmoralisches Angebot ist der Vorschlag, die Lizenzen zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken zu versteigern, nicht. Ganz im Gegenteil. Er ist die womöglich beste Art, um den Konzernen für den Weiterbetrieb so viel Geld wie möglich abzuluchsen. Die Versteigerung ist zudem weit weniger anfällig für undurchsichtige Geschäfte zwischen Regierung und Stromproduzenten. Wie sonst soll man bestimmen, wie viel von ihren Extra-Gewinnen die Konzerne abführen müssen? Eine Versteigerung funktioniert allerdings nur, wenn das Gut, um das es geht, knapp ist. Wie viele Terawattstunden Atomstrom will die schwarz-gelbe Regierung also insgesamt noch erlauben? Diese Zahl müsste vorher verbindlich feststehen. Sie wäre Westerwelles und Merkels Atomausstieg. Der Versteigerungsvorschlag löst also nicht das Problem, dass über die Atomenergie erst politisch entschieden werden muss, ehe es ans Bezahlen geht.

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