Fessenheim Atompolitik mit vielen Unbekannten

Paris/Fessenheim · Bleibt in Frankreich alles beim Alten? Nicht nur das AKW in Cattenom bleibt am Netz — auch in Fessenheim ist kein Ende in Sicht.

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Foto: SZ

Sébastien Lecornu ist in Frankreich kaum bekannt. Doch im Elsass kennt den bärtigen Umweltstaatssekretär aus der Normandie fast jeder. Denn das mit 31 Jahren jüngste Mitglied des Kabinetts muss die Schließung des Atomkraftwerkes Fessenheim am Oberrhein umsetzen. Als „Monsieur Fessenheim“ besucht Lecornu alle paar Monate die Region und setzt sich mit Gewerkschaftern und Regionalpolitikern an einen Tisch. Bei den Sitzungen geht es um die Zukunft nach der Abschaltung des ältesten französischen Meilers, der nur rund 20 Kilometer von Freiburg entfernt liegt.

Wann diese Zukunft beginnt, behält Lecornu für sich. Er gibt den schwarzen Peter lieber an die Atomaufsicht ASN weiter, die sich im Mai äußern soll. Allerdings nicht zu Fessenheim, sondern zum neuen Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal. Flamanville ist eine Art atomarer Zwillingsbruder von Fessenheim. Die Anlage im Elsass soll nur vom Netz, wenn der moderne Reaktor 800 Kilometer weiter westlich an seiner Stelle Strom produziert. „Das ist aus sicherheitstechnischer Sicht völlig inakzeptabel. Fessenheim ist so schlecht, dass es in Deutschland sofort abgeschaltet würde“, kritisiert die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sylvia Kotting-Uhl. 22 kleinere Störfälle zählte Greenpeace dort im vergangenen Jahr. „Wenn etwas passiert, sind keine ausreichenden Notsysteme vorhanden“, warnt auch Susanne Neubronner, die Atomenergieexpertin von Greenpeace Deutschland. Nachrüstungen hätten kaum noch Erfolg. „Das ist wie bei einem alten Auto: Man kriegt es zum Fahren, aber man macht keinen Porsche des Baujahrs 2017 mehr daraus.“

Fessenheim wird vermutlich über 2019 hinaus weiter betrieben. „Ich glaube nicht an eine Abschaltung im nächsten Jahr“, sagt Neubronner. Der Grund: Flamanville ist pannenanfällig. Die schon für 2012 angekündigte Fertigstellung verzögert sich seit Jahren, die Kosten explodieren. Erst kürzlich gab der Betreiber EDF bekannt, Löcher an 150 Schweißnähten seien entdeckt worden. Dazu kommt fehlerhafter Stahl, der im Deckel eingebaut wurde. Die ASN gab trotzdem grünes Licht. Die Behörde will aber, dass der Deckel 2024 ausgetauscht wird. Die Karlsruher Grünen-Abgeordnete Kotting-Uhl fordert dagegen, das Aus von Fessenheim von Flamanville zu entkoppeln.

Dass die beiden Atomkraftwerke stets in einem Atemzug genannt werden, hängt mit dem Energiewendegesetz aus dem Jahr 2015 zusammen. Es sieht eine Deckelung der Atomkraft auf 63 Gigawatt vor. Die frühere Umweltministerin Ségolène Royal interpretierte das als Zielmarke, die die Abschaltung eines Atomkraftwerkes nur erlaubt, wenn ein anderes anläuft. Es war ihre Art, das gebrochene Wahlversprechen von François Hollande mit einem Mäntelchen der Glaubwürdigkeit zu umhüllen. Denn Hollande hatte die Abschaltung von Fessenheim bis spätestens 2017 in Aussicht gestellt. Auch sein Nachfolger Emmanuel Macron versprach im Wahlkampf die Stilllegung und die Umsetzung des Energiewendegesetzes, das den Anteil der Atomkraft bis 2025 von 75 auf 50 Prozent zurückfahren will.

Die Ernennung von Nicolas Hulot, einem Öko-Aktivisten, zum Umweltminister nährte Hoffnungen auf ein Umdenken beim größten Atomstromproduzent in Europa. Doch Hulot gibt inzwischen zu, dass die französische Energiewende nur auf dem Papier existiert. 17 Reaktoren müssten dafür in den nächsten sieben Jahren stillgelegt werden. Das sei nicht machbar. Von Macrons Versprechen bleibt also nach einem Jahr im Amt allein die Schließung von Fessenheim übrig.

Baden-Württemberg fordert schon seit Jahren, den Meiler vom Netz zu nehmen. Vergangene Woche bekräftigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, er wolle dort, wo Fessenheim derzeit steht, in einen deutsch-französischen Industriepark investieren. „Die Zeit nach Fessenheim wird notwendigerweise deutsch-französisch sein“, sagt Lecornu. Für die Region will die Regierung noch in diesem Jahr eine Ausschreibung für eine Solaranlage starten. „Fessenheim zu schließen, ohne daraus ein Beispiel für die Energiewende zu machen, hätte keinen Sinn.“

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