Athen pokert hoch um seine Zukunft
Brüssel · Vielen erschien das Angebot der Eurogruppe an Griechenland unwiderstehlich. Dennoch lehnte Athen ab. Die Führung des maroden Landes riskiert viel, doch der Spielraum zur Rettung wird immer kleiner.
Zwei Autos rasen aufeinander zu. Und beide Fahrer warten bis zum letzten Augenblick, wer wohl zuerst ausweicht. Denn der hat verloren. Diese Ausdeutung der Spieltheorie hat der frühere Wirtschaftsprofessor Gianis Varoufakis in seinen Vorlesungen immer gerne vertreten, um Reaktion und Gegenreaktion beim wirtschaftlichen Handeln zu erklären. Seitdem er Finanzminister in der griechischen Regierung ist, handelt er so. Er pokert hoch um die Zukunft Griechenlands. Zum zweiten Mal endete am späten Montagabend eine Sitzung der Eurogruppe mit einem Eklat.
Ratlosigkeit spiegeln viele Gesichter am Tag danach. Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gestern noch einmal nachzuzeichnen versuchte, warum es auch dieses Mal nicht zur Einigung über die Zukunft des maroden Landes gekommen war, bekam das Bild des bulligen Athener Finanzministers aber erste Risse: "Man weiß gar nicht, ob der Kollege eigentlich ein Verhandlungsmandat hat oder ob das hier so eine Art erweiterter Telefonkonferenz ist", sagte Schäuble. Denn wie schon bei der ersten geplatzten Sitzung sei Varoufakis auch vorgestern bereit gewesen, eine Vereinbarung zu unterzeichnen - bis er zur Sicherheit noch einmal in Athen nachfragte und von Regierungschef Alexis Tsipras zurückgepfiffen wurde. "Es ist nicht erkennbar, dass man in Athen weiß, was man will."
Dabei lag auf dem Tisch ein Angebot, das vielen sogar unwiderstehlich schien: 18 Milliarden Euro der Euro-Familie, gespeist aus Geldern der letzten Tranche des zweiten Rettungspaketes, Gewinnen der Europäischen Zentralbank sowie Finanzmitteln für die hellenischen Banken. Dazu einige Monate Zeit, um einen neuen Vertrag auszuhandeln. Allerdings hätten sich Tsipras und seine Minister bereiterklären müssen, die bisherigen Reformauflagen weiter durchzuziehen. Das war zu viel, nachdem sie auch schon mit ihrer Forderung nach einem Schuldenschnitt auf Granit gebissen hatten. Die Eurogruppe und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde , sahen keinen weiteren Spielraum und beendeten das Gespräch. Die Sitzung war geplatzt.
Beobachter hatten den Eklat vorausgeahnt. Immer wieder hätten die Unterhändler von IWF, EU-Kommission und EZB nach "harten, belastbaren und glaubwürdigen Fakten" gefragt. "Wir wollten endlich mal genau wissen, was sich Athen denn eigentlich vorstellt", sagte einer. "Doch es kamen immer nur Allgemeinplätze." In der Minister-Sitzung hätten einige "Kollegen" (Schäuble) den Griechen Varoufakis dann durchaus hart angegangen. Sie hatten ausgerechnet, dass die Athener Regierung die Renten und Mindestlöhne auf ein Niveau deutlich über dem Level in anderen EU-Ländern anheben wolle. "Es kann ja wohl nicht sein, dass das Leben in Griechenland so viel kostspieliger ist", habe ein Diplomat Varoufakis vorgehalten. "Angespannt", "verständnislos", ja sogar "verärgert" sei die Atmosphäre gewesen. "Die wissen nicht, was sie wollen und - was noch schlimmer ist -, was sie riskieren", gab sich ein österreichisches Delegationsmitglied gestern irritiert über den griechischen "Schlingerkurs".
Bis Freitag hat Athen nun Zeit, den Kompromiss-Vorschlag der Euro-Familie anzunehmen. Viel Spielraum bleibt nicht, denn inzwischen hat sich die Front der Gegner geschlossen. Längst ist nicht mehr Deutschland wegen seines Pochens auf Einsparungen isoliert, sondern Athen . Dabei zeigte sich Schäuble gestern sogar noch bereit, "dem Land weiter zu helfen" - aber eben nicht um jeden Preis. Tatsächlich muss man sich in Athen klarmachen, dass die Schlinge immer enger wird. Schon heute fällt die Entscheidung, ob der erweiterte Kreditrahmen, den die Europäische Zentralbank der hellenischen Notenbank eingeräumt hatte (er war von fünf auf 65 Milliarden Euro ausgeweitet worden), zurückgenommen oder verlängert wird. Athens Zukunft steht auf des Messers Schneide. Brüsseler Finanzmarkt-Experten halten eine Staatspleite nicht nur für wahrscheinlich, sie glauben sogar, diese terminieren zu können: "Je nach Berechnung eventueller Reserven oder kurzzeitiger Gewinne zwischen dem 22. März und dem 12. Juli."