Armut soll draußen bleiben

Im Kampf gegen die Armutszuwanderung verschärft Deutschland sein Vorgehen. Beim Treffen mit seinen 27 Amtskollegen kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gestern in Brüssel an, notfalls die EU-Kommission zu umgehen und gemeinsam mit einigen anderen EU-Staaten Sondergesetze zu vereinbaren.

"Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis, wie wir die Freizügigkeit schützen, den Missbrauch aber verhindern können", sagte der CSU-Politiker. "Und notfalls werden wir uns außerhalb der Strukturen der Europäischen Union multilateral verständigen müssen, um ein gemeinsames Vorgehen zu wählen." Als mögliche Partner kämen dafür offenbar "einige skandinavische Länder", die Niederlande, Italien, Spanien und sicher auch Großbritannien infrage.

Londons Premierminister David Cameron hatte erst vor wenigen Tagen mit der Forderung "Die Freizügigkeit innerhalb der EU muss weniger frei sein" für Aufregung gesorgt. Auslöser sind die Klagen zahlreicher Mitgliedstaaten über wachsenden Sozialmissbrauch - in Deutschland vor allem durch Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Die allerdings können nach der bisher geltenden Rechtslage nicht einfach ausgesperrt werden. Beide Länder gehören der EU an.

Bei der Brüsseler Sitzung bemühte sich die Kommission den Verdacht auszuräumen, der Missbrauch von Sozialleistungen habe dramatisch zugenommen. Einen entsprechenden Bericht der EU-Verwaltung wies Friedrich allerdings zurück. "Ich sage es sehr klar, wir sind mit diesem Bericht nicht zufrieden." Er sei nicht geeignet, um die Probleme zu lösen. Es sei mehr nötig, als die Kommission vorschlage. "Irgendwelche Diskussionsveranstaltungen oder irgendwelche Booklets zu entwerfen, das reicht nicht", sagte der Minister weiter. Eine solche Kampfansage an die Kommission hat Seltenheitswert. Zwar räumen die europäischen Verträge den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, mit dem Instrument einer verstärkten Zusammenarbeit eigene Beschlüsse zu treffen. Dazu müssen sich mindestens neun Regierungen auf eine Linie verständigen. Allerdings bedarf ein solcher Sonderweg einer Zustimmung der Kommission.

Die schaltete gestern jedoch ebenfalls auf stur. Viviane Reding, Vizepräsidenti n und zugleich für Justizfragen zuständig, warf dem Bundesinnenminister vor, er solle, anstatt multilateral vorzugehen, "mal was national machen". Schließlich gehe es "um deutsches Recht, das entweder nicht eingehalten wird oder zu großzügig ist". Missstände müssten vor Ort gelöst werden. Doch darauf wollen sich die Bundesregierung und einige andere EU-Länder nicht verlassen. Sie blockierten gestern den lange erwarteten Wegfall der Kontrollen an den Grenzen zu den beiden Mitgliedern Bulgarien und Rumänien ab Januar. Offiziell wurden als Gründe Defizite in der Rechtsstaatlichkeit sowie Mängel im Kampf gegen Korruption und Kriminalität genannt. Doch hinter den Kulissen machten einige Minister deutlich, dass sie die Einführung der vollen Reisefreiheit für diese beiden Länder auch aus innenpolitischen Gründen derzeit nicht vertreten könnten. Ein neues Datum für die Ausweitung des Schengen-Raums gibt es bisher nicht. Für Januar hat die Kommission einen neuen Bericht zum Stand der Reformen Sofias und Bukarests angekündigt. Damit die Schlagbäume an den bisherigen Ostgrenzen der EU wirklich hochgehen, müssen vorher alle 28 Ländervertreter die Hand heben. Das scheint vorerst undenk bar.

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Am RandeDer Migrationsforscher Herbert Brücker sieht in der Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren keine Belastung für die deutschen Sozialsysteme - im Gegenteil. "Migranten tragen im Durchschnitt mehr zum Sozialsystem bei, als sie herausbekommen", sagte Brücker gestern im WDR-Radio. Da Zuwanderer im Schnitt sehr jung seien, zahlten sie deutlich mehr in die Rentenversicherung ein, als sie jemals herausbekämen. Während der Anteil von Hartz-IV-Empfängern an der ausländischen Bevölkerung bei 16 Prozent liege, betrage er bei Rumänen und Bulgaren nur zehn Pro zent. epd

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