Arbeitsvermittler im Schönheitssalon

Saarbrücken · Von einem Vermittler, der in einem Schönheitssalon in Litauen residiert, wurden Arbeiter entsandt, um beim Wursthersteller Höll zu arbeiten. Seit Wochen warten sie auf Lohn. Jetzt sind Hilfsmaßnahmen angelaufen.

 Mark Baumeister, Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG, und Rechtsanwältin Christina Herdt nehmen die Daten der geprellten Osteuropäer in der Küche ihrer kargen Unterkunft auf. Sie haben für einen Dienstleister bei Höll gearbeitet und warten auf ihren Lohn. Foto: B&B

Mark Baumeister, Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG, und Rechtsanwältin Christina Herdt nehmen die Daten der geprellten Osteuropäer in der Küche ihrer kargen Unterkunft auf. Sie haben für einen Dienstleister bei Höll gearbeitet und warten auf ihren Lohn. Foto: B&B

Foto: B&B

. Das Schicksal der über 30 Osteuropäer, die bis letzte Woche für den Personaldienstleister Rolf Wenzel (Hamm) über einen Werkvertrag bei dem Saarbrücker Wursthersteller Höll arbeiteten, hat gestern eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Nach dem Bericht unserer Zeitung (Mittwochausgabe), dass die Frauen und Männer aus Bulgarien, Litauen, Rumänen und Moldawien quasi mittellos in drei Wohnungen eines heruntergekommenen Altbaus in der Lebacher Straße in Saarbrücken-Malstatt leben, haben sich bei der Gewerkschaft NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) Privatpersonen und Firmen gemeldet, die mit Geld und Sachspenden helfen wollen. "Jede Hilfe ist willkommen", sagt NGG-Geschäftsführer Mark Baumeister.

Die Osteuropäer im Alter von 19 bis 47 Jahren warten nach eigenen Angaben seit Wochen auf ihren versprochenen Lohn. Höll-Geschäftsführer Rainer Wenz ging bis Dienstag davon aus, dass der Dienstleister, dessen Vertrag kurzfristig beendet wurde, seine Verpflichtungen gegenüber den Mitarbeitern erfüllt hat. Mittlerweile sind die Höll-Repräsentanten, darunter Betriebsratschef Dirk Naumann und Berater Michael Geisinger, klüger. "Wir sind vom Stuhl gefallen", so Geisinger. Angeblich war Höll auch nicht bekannt, dass Wenzel ausländliche Vermittler als Subunternehmer einsetzte, die wiederum über Adressen in Warschau und Litauen das Personal für die Höll-Verpackungsabteilung verpflichteten. Betroffene berichteten gestern, sie seien über Angebote im Internet angeworben worden, ein Monatslohn von 1000 Euro und mehr - für osteuropäische Verhältnisse ein kleines Vermögen - sei ihnen versprochen worden. Bar ausgezahlt wurden seit Anfang Februar, so schilderten sie, Abschlagszahlungen zwischen 100 und 300 Euro.

Baumeister und Isolde Ries (SPD), Landtagsvizepräsidentin und Gewerkschaftssekretärin, verpflichteten gestern die Saarbrücker Rechtsanwältin Christina Herdt, die russisch spricht. Die Juristin nahm die Daten der geprellten Arbeiter auf, registrierte geleistete Arbeitszeiten von mehr als 200 Stunden im Monat. Vermittler der Bulgaren, Rumänen und Moldawier ist ein Warschauer Unternehmen, das erstaunlicherweise unter dem Namen "Respekt" firmiert. Verträge sind in polnisch - kaum einer der Arbeiter beherrscht diese Sprache. Mindestens fünf Leute aus Litauen wurden von einem "Direktorius Danas D. " in der litauischen Stadt Elektrénai auf eigene Kosten ins Saarland geschickt. Dieser Vermittler soll in einem Schönheitssalon residieren. Hilfsbereite Höll-Vertreter waren gestern erneut vor Ort in der Lebacher Straße. Sie brachten wieder Lebensmittel, finanzierten den Einkauf von Hygieneartikeln, stellten 500 Euro bar als Soforthilfe zur Verfügung. Der Wursthersteller, der sich noch von einer Insolvenz erholt, befürchtet durch den Skandal einen neuen Imageschaden. Für heute ist eine Erklärung von Firmenchef Wenz angekündigt. Er war gestern in Norddeutschland bei Kunden. Zwischen NGG und Höll laufen Gespräche, ob das Unternehmen den Arbeitern ihren Lohn auszahlt und sich im Gegenzug deren Forderungen an den Personalservice abtreten lässt. Sollte der Wursthersteller diesen Weg nicht favorisieren, erwägt die NGG eine Sammelklage. Baumeister sagt dazu: "Das wird juristisch nicht einfach. Auf jeden Fall werden wir Strafanzeige erstatten." Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit Ermittlungen auf Grundlage der bisherigen Veröffentlichungen.

Zwischen Höll und seinem Ex-Dienstleister Wenzel gibt es offenbar seit längerem Streit. Beide Seiten beschäftigen Anwälte. Höll hatte schon vor Wochen den Osteuropäern 350 Euro ausgezahlt, weil sie von ihrem Auftraggeber keinen Lohn erhielten. Hintergrund für die Beendigung des Werkvertrages ist nach SZ-Informationen auch: Die Landesregierung macht für mögliche weitere Unterstützung der Firma unter anderem zur Auflage, prekäre Arbeitsverhältnisse zu beenden und eigenes Personal einzustellen.

Die Gewerkschaft NGG ist per Telefon unter (06 81) 4 76 73 zu erreichen.

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HintergrundDer Fleischwarenhersteller Höll ist seit eineinhalb Jahren in der Dauerkrise. Hohe Rohstoffpreise, eine verfehlte Vertriebsstrategie sowie eine Rückrufaktion haben das Unternehmen im September 2011 in die Insolvenz getrieben.Durch das finanzielle Engagement des Bertelsmann-Managers Gunter Thielen und eine 4,5-Millionen-Euro-Finanzspritze des Landes konnte das Unternehmen gerettet werden. Das Land hat über die Landesgesellschaft SBB die Produktionshallen gekauft und für zehn Jahre an Höll zurückvermietet. Thielens Frau stammt aus der Gründerfamilie, sein Sohn führte das Traditionsunternehmen.Im Rahmen der Sanierung hat Höll über 100 Mitarbeiter entlassen und stattdessen rumänische Werkvertragsarbeiter engagiert. Das Vorgehen stieß auf heftige Kritik. Die Opposition rügte in diesem Zusammenhang die Landeshilfe, weil sie nicht an Bedingungen geknüpft war. red

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