Arbeitskampf in der Nacht der 1000 Feuer

Völklingen · Die Billigkonkurrenz aus China macht der saarländischen Stahlbranche schwer zu schaffen, und es könnte noch schlimmer kommen. Das wollen sich die Stahlkocher nicht gefallen lassen.

 600 Stahlarbeiter marschierten mit Fackeln durch Neunkirchen. Foto: Jörg Jacobi

600 Stahlarbeiter marschierten mit Fackeln durch Neunkirchen. Foto: Jörg Jacobi

Foto: Jörg Jacobi

Protestieren macht hungrig. Peter Kneip bringt eine Tüte mit Fleischkäse-Weck bei der Mahnwache in Völklingen vorbei, die sich gegenüber der Gebläsehalle des Weltkulturerbes positioniert hat. Die Männer , die sonst im Stahlwerk oder in den Walzstraßen von Saarstahl ihrem Tagwerk nachgehen, sind entschlossen, für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen. Derzeit schwappt wieder eine Protestwelle durch das Land. In Völklingen fand gestern Abend die "Nacht der 1000 Feuer" statt - mit Fackelzug und Lasershow. In Neunkirchen hielten die Stahlkocher ebenfalls eine Mahnwache ab. Zu ihr gingen die Arbeiter vom Werkstor der Saarstahl-Walzstraße in einem Fackelzug. Die Mitarbeiter der Dillinger Hütte hatten zu einer öffentlichen Betriebsversammlung geladen, die ebenfalls von Fackelträgern umrahmt war.

"Sauberste Stahl-Standorte"

Die Angst geht um, dass der deutschen und europäischen Stahlindustrie wegen andauernder Dumping-Importe aus Ostasien die Puste ausgeht. "Was würde denn passieren, wenn die deutsche Stahlindustrie wegen chinesischer Billigimporte kaputtgehen würde?", fragt Martin Neufing aus Saarwellingen und Mitglied der Völklinger Mahnwache. "Dann wäre es an der Saar zappenduster." "In der saarländischen Stahlindustrie arbeiten noch 22 000 Menschen", ergänzt Sifour Abdolkrim aus Völklingen . "Wenn diese keine Arbeit mehr haben, was sollen sie denn dann machen? Zu Hause sitzen und auf Hartz IV warten, was zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben ist?" "Geld zum Einkaufen hat dann auch niemand mehr", erinnert Mario Fodera aus Völklingen . Er weist darauf hin, dass aus der saarländischen Stahlindustrie jährlich 600 Millionen Euro an Einkommen fließen. "Wenn diese Millionen nicht mehr da sind, können die da drüben auch einpacken", sagt er und weist mit seinem Arm in Richtung des Völklinger Globus-Warenhauses.

An der Belegschaft geht das Gerede von der Krise auch nicht vorbei. "Die Stimmung ist teilweise schon gedrückt", sagt Franz Diedenhofen aus Schmelz. Er arbeitet in der Völklinger Freiform-Schmiede, die im Moment wegen ihrer Verluste und einer Auftragsflaute als Sorgenkind des Saarstahl-Konzerns gilt. Die Männer wissen, wovon sie sprechen. Sie sind alle Vertrauensleute und kennen daher die Sorgen und Nöte ihrer Kollegen. "Ich werde tagtäglich wegen allem und jedem angesprochen", sagt Kneip.

Allmählich reden sie sich richtig in Rage neben ihrem Herz aus Stahl - eine Rohrkonstruktion, durch die Gas fließt und aus der zahlreiche Flammen züngeln. Als nächstes sind die Brüsseler EU-Kommissare dran, die mit ihren Entscheidungen in den kommenden Wochen die Weichen für Wohl und Wehe der europäischen Stahlindustrie stellen. "Diese Herren sollten mal das verdienen, was der einfache Stahlarbeiter am Monatsende bekommt. Dann würden die vielleicht anders denken", sagt Neufing. "Wir fühlen uns einfach ungerecht behandelt", macht sich Abdolkrim Luft. "Die Saar-Stahlindustrie investiert Millionen in den Umweltschutz, wie zum Beispiel in Entstaubungsanlagen. Die chinesischen Stahlwerke verdrecken hingegen die Luft." Auf einem Plakat ist zu lesen, dass die saarländischen Hütten "zu den zehn saubersten Stahlstandorten weltweit gehören".

Die Männer ärgern sich daher nicht nur, dass die EU-Kommission zu wenig gegen den Billigstahl aus China tut. Ihnen geht auch gegen den Strich, dass sie den Emissionshandel mit CO{-2}-Verschmutzungsrechten ab 2021 so verschärfen will, "dass wir trotz unserer hohen Ökostandards - wir könnten auf unsere Produkte den Blauen Umweltengel kleben - mit enormen Zusatzkosten belastet werden", schimpft Kneip. Wenn die modernen Anlagen in Deutschland und Europa schließen müssten, "produzieren die chinesischen Dreckschleudern diese Menge", sagt er. "Was wäre dann für den Umweltschutz gewonnen?"

Am Abend bei der Betriebsversammlung vor dem rot angeleuchteten Direktionsgebäude der Dillinger Hütte , auf dem als Film das Feuer der Mahnwache meterhoch projiziert wird, versammeln sich hunderte von Stahlarbeitern. Auch sie machen ihrem Ärger über die Stahlpolitik der EU-Kommission Luft. Männer mit Fackeln, gekleidet in die silbern glänzenden Mäntel, die beim Hochofen-Abstich getragen werden, rahmen die Redner ein. Auch die Zuhörer, die zu dieser öffentlichen Betriebsversammlung gekommen sind, haben sich Fackeln gegriffen.

Michael Fischer, Betriebsratsvorsitzender des traditionsreichen Grobblech-Produzenten, rief den Frauen und Männern zu, dass "hunderttausende von Stahlarbeitern in Europa um ihre Arbeitsplätze und ihre sozialen Standards bangen". Trotz massiver Einsparprogramme bei der Dillinger Hütte sei es dem Konzern bisher nicht gelungen, wieder dauerhaft Gewinne zu erzielen. "Das darf nicht so bleiben", so Fischer.

 Die Männer der Mahnwache (v.l.): Peter Kneip, Mario Fodera, Sifour Abdolkrim, Martin Neufing und Franz Diedenhofen. Foto: warscheid

Die Männer der Mahnwache (v.l.): Peter Kneip, Mario Fodera, Sifour Abdolkrim, Martin Neufing und Franz Diedenhofen. Foto: warscheid

Foto: warscheid

Der Sprecher der Geschäftsführung der Dillinger Hütte und von Saarstahl, Fred Metzken, rief den Stahlarbeitern zu, möglichst zahlreich morgen zum Stahl-Aktionstag nach Brüssel zu fahren. "Wir wollen nicht jammern, aber wenn politische Entscheidungen dazu führen, dass unsere wirtschaftliche Grundlage in Gefahr gerät, ist es unsere Pflicht, hier gegenzuhalten", betonte Metzken. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU ) sagte den Stahlarbeitern zu, die Anliegen und Positionen der Branche in Berlin und Brüssel mit Nachdruck zu vertreten.

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