Auslandskorrespondent Thomas Seibert Und plötzlich duldet uns Erdogan nicht mehr

Istanbul · Der Journalist Thomas Seibert hat jahrelang für deutsche Medien aus der Türkei berichtet. Jetzt hat die Regierung ihm und zwei weiteren Journalisten die Arbeitserlaubnis verweigert. Ein Erfahrungsbericht.

  Eingelullt: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt vor den Kommunalwahlen Ende März nicht nur auf übergroße Werbebanner.   Kritischen Auslandsjournalisten hat er „zur Sicherheit“ die Arbeitserlaubnis entzogen  .

Eingelullt: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt vor den Kommunalwahlen Ende März nicht nur auf übergroße Werbebanner. Kritischen Auslandsjournalisten hat er „zur Sicherheit“ die Arbeitserlaubnis entzogen .

Foto: dpa/Lefteris Pitarakis

Vor fast genau zwanzig Jahren bin ich Recep Tayyip Erdogan zum ersten Mal begegnet. Kurz vor dem Beginn seiner Haftstrafe im März 1999 rief er die internationale Presse in Istanbul zusammen, um auf die Absurdität seiner Verurteilung wegen einer unbotmäßigen Rede aufmerksam zu machen. Bei dem Treffen in einem osmanischen Palais am Bosporus saß ich neben Erdogan, der damals Istanbuler Oberbürgermeister war. Wir plauderten über Fußball; Erdogan hatte sich kurz zuvor bei einem Spiel verletzt. Mehr als zwei Jahrzehnte lang habe ich den Aufstieg Erdogans beobachtet. Jetzt duldet mich seine Regierung nicht mehr als Berichterstatter.

Nicht nur die Türkei hat in diesen 20 Jahren viel erlebt. Mein Leben und das meiner Familie ist eng mit der Türkei verwoben. Meine Tochter Julia ist in Istanbul geboren und aufgewachsen. Meine Frau Susanne Güsten, die weiterhin für den Tagesspiegel und auch die Saarbrücker Zeitung aus Istanbul berichten wird, reitet bei internationalen Dressurturnieren für die Türkei.

Als Journalist habe ich miterlebt, wie sich die Türkei in dieser Zeit verändert hat. Ich erlebte, wie das Land in der Reformphase unmittelbar nach dem Regierungsantritt von Erdogans AKP im November 2002 begann, mit der eigenen autoritär-obrigkeitsstaatlichen Tradition zu brechen, wie die Todesstrafe abgeschafft, die Machtrolle der Militärs zurückgedrängt und die Zivilgesellschaft gestärkt wurde.

Genauso war ich dabei, als die EU den Türken die kalte Schulter zeigte, der Reformschwung erlahmte und die „alte Türkei“ der Verbote wieder die Oberhand gewann. Mein Freund und Kollege Aydin Engin, ein Veteran des türkischen Journalismus, wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

In den goldenen Jahren des türkischen Wirtschaftsbooms interviewte ich ehrgeizige junge Deutsch-Türken, die aus der Bundesrepublik in das Land ihrer Eltern strömten, weil sie in Istanbul, Ankara oder Izmir eine bessere Zukunft für sich sahen als in Deutschland. Nach meiner Rückkehr in die Türkei von einem zweijährigen Zwischenspiel als USA-Korrespondent des Tagesspiegels hatte als Folge des wachsenden Drucks nach dem Putschversuch von 2016 eine neue Abwanderung aus der Türkei nach Deutschland begonnen. Fast jeder Türke hat irgendeine Verbindung zur Bundesrepublik.

Im Auf und Ab der Jahre ging es für mich als Korrespondenten nie um Türkei-Lobhudelei oder Türkei-Schelte. Es ging ums Erklären, denn es gibt kein anderes Land auf der Welt, das den Deutschen so nahe und doch so fremd ist. Die Sprachbarriere, die Unterschiede in Kultur und Religion, der völlig andere Blick auf die Geschichte. Das ist die aufregende, faszinierende und manchmal auch frustrierende Arbeit des Türkei-Korrespondenten.

Denn wenn ich für meine Leser zum Beispiel aufdröselte, warum Erdogan ist, wie er ist, und dass die Gründe für sein Verhalten in seiner Biographie und in der politischen Kultur seines Landes zu suchen sind, dann wurde ich hin und wieder als Verteidiger der Regierung kritisiert. Wenn ich beschrieb, warum sich viele Kurden in der Türkei als Bürger zweiter Klasse fühlen und warum manche sogar die Waffe in die Hand nehmen, dann galt ich bei manchen als Freund der Terrororganisation PKK.

Bis vor kurzem konnte ich immerhin fest davon ausgehen, dass der türkische Staat an einer differenzierten Darstellung des Landes in der internationalen Öffentlichkeit interessiert sei. 15 oder mehr Jahre lang war die jährliche Erteilung der Arbeitsgenehmigung für ausländische Reporter in der Türkei reine Formsache.

Seit einigen Jahren versucht Ankara jedoch, die Akkreditierung als Druckmittel einzusetzen. So mussten der „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim, Frank Nordhausen von der „Frankfurter Rundschau“ und Rafael Geiger vom „Stern“ die Türkei verlassen, weil ihnen die Akkreditierung vorenthalten wurde.

  Thomas Seibert darf in der Türkei nicht mehr als Journalist arbeiten. Seine Frau Susanne Güsten bleibt Türkei-Korrespondentin der Saarbrücker Zeitung.

Thomas Seibert darf in der Türkei nicht mehr als Journalist arbeiten. Seine Frau Susanne Güsten bleibt Türkei-Korrespondentin der Saarbrücker Zeitung.

Foto: Güsten

Nun verweigert die Türkei dem ZDF-Kollegen Jörg Brase, Halil Gülbeyaz vom NDR und mir die Arbeitserlaubnis. An uns soll ein Exempel statuiert werden: Schickt einen anderen Journalisten als Thomas Seibert, lautete das unmoralische Angebot aus Ankara an die deutschen Zeitungen. Ihr Ziel, deutsche Zeitungen oder Fernsehsender zu kontrollieren, wird die türkische Regierung damit nicht erreichen – nur das Gegenteil.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort