Anschauungs-Unterricht für die Kanzlerin Privatgymnasium BiL in Stuttgart möchte keine türkische Schule sein

Istanbul. Ahmet Davutoglu zögert

Bundeskanzlerin Angela Merkel schüttelt Hände an der deutschen Schule in Istanbul. Foto: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel schüttelt Hände an der deutschen Schule in Istanbul. Foto: dpa

Istanbul. Ahmet Davutoglu zögert. Wie soll er als türkischer Außenminister der deutschen Kanzlerin bloß erklären, dass es in der Türkei nicht so einfach ist, bestimmte Gesetze zu ändern? Im Istanbuler "Alman Lisesi", der deutschen Schule in der türkischen Metropole, geht es in einer Podiumsdiskussion am zweiten Tag des Türkei-Besuches von Angela Merkel um die Frage, warum türkische Schüler erst nach dem achten Schuljahr an diese Schule kommen dürfen. Die einfache Antwort wäre: Weil die türkischen Militärs das so wollen. Aber das kann Davutoglu nicht gut sagen bei einer öffentlichen Veranstaltung. Also zögert er, und dann sagt er: "Eine Gesetzesänderung ist schwierig."

Offenbar ist Merkel nicht klar, warum Davutoglu so ausweichend antwortet. Wenn die Türkei das nächste Mal eine Bildungsreform angehe, dann solle sie über eine Änderung in diesem Bereich nachdenken, rät sie ihm. Davutoglu antwortet lieber nicht. Er weiß, dass die Regierung damit einen Militärputsch riskieren würde.

Die achtjährige Schulpflicht in staatlichen türkischen Schulen geht auf den so genannten postmodernen Putsch in der Türkei vor 13 Jahren zurück. Das Militär diktierte der damaligen Regierung des islamisch orientierten Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan diese Vorschrift. Die Generäle wollten die aufstrebende anatolische Mittelschicht daran hindern, ihre Kinder auf die Mittelschulen der beliebten Religionsgymnasien zu schicken. Die frommen Mittelschulen mussten tatsächlich schließen. Zugleich wurde Millionen türkischen Kindern damit aber auch der Besuch anderer Mittelschulen wie etwa der Deutschen Schule vor dem neunten Schuljahr versagt - ein bildungspolitisches Erdbeben.

Nach dem Streit über türkische Schulen in Deutschland bietet der Besuch im "Alman Lisesi" für Merkel die Möglichkeit, sich aus erster Hand über Erfahrungen mit deutsch-türkischen Schulen zu informieren. Türkische Regierungsvertreter hatten das Gymnasium schließlich als Vorbild für mögliche türkische Schulen in der Bundesrepublik genannt. Doch Schulleiter Richard Reinhold ist nicht so sicher, ob das stimmt mit der Modellfunktion. "Ich habe da meine Zweifel", sagte er dem "Tagesspiegel". Vier von fünf Schülern am "Alman Lisesi" sind Türken, nur 20 Prozent Deutsche. Für tausend türkische Anwärter hat Reinhold pro Jahr Platz, hier wird eine Elitebildung vermittelt. "Um das umgekehrt anzuwenden, muss man sich fragen, ob sich in Deutschland 80 Prozent deutsche Schüler fänden, die das wollen." Deshalb sei seine Schule als Modell kaum anwendbar, es wäre zu simpel zu sagen, das könne man auf türkische Schulen in Deutschland übertragen.

An Reinholds Schule werden türkische und deutsche Kinder in zwei unterschiedlichen Zweigen unterrichtet. Ein Zweig ist für die türkischen Eliteschüler, die über ein hartes staatliches Auswahlverfahren aufgenommen werden. Am anderen Zweig werden deutsche Schüler unterrichtet, für die es keinerlei Aufnahmehürden gibt: Die deutsche Staatsbürgerschaft genügt meist, wobei es hitzige Auseinandersetzungen darüber gibt, ob Kinder mit einem türkischen Elternteil und zwei Pässen den deutschen Zweig besuchen dürfen oder nicht. Die Lehrpläne am türkischen Zweig der Schule richten sich nach den Vorgaben des türkischen Bildungsministeriums; die Schüler können außer dem türkischen "Lise"-Abschluss auch das deutsche Abitur erwerben. Unterrichtet wird auf Türkisch und auf Deutsch. Die deutschen Schüler werden in ihrem Zweig dagegen ausschließlich auf Deutsch unterrichtet. Nur in den fünften und sechsten Klasse lernen die Deutschen Türkisch. Von Bilingualität als Bildungsziel kann in Istanbul also keine Rede sein. Viele Deutsche wollten kein Türkisch lernen, sagt Reinhold. "Viele sind nur für ein paar Jahre hier und wollen dann wieder zurück nach Deutschland, so dass vielfach gar nicht der Wunsch besteht, sich zu integrieren und die Sprache zu lernen." Genau das trifft auch auf so manchen Türken in Deutschland zu.

Stuttgart. Der Südwestrundfunk nannte die BiL-Privatschule in Stuttgart "das Türkengymnasium". Auf den Schulbänken sitzen tatsächlich zu 80 Prozent Kinder mit türkischen Wurzeln. Angesichts der großen Aufmerksamkeit, die das Gymnasium und die Realschule derzeit finden, schüttelt Geschäftsführer Muammer Akin nur den Kopf. "Wir fühlen uns von der ganzen Diskussion über türkische Schulen gar nicht so sehr betroffen. Wir sind eine deutsche Schule", betont er.

Die BiL-Privatschule ist aus einer Lernhilfe (Bildungs- und Informationszentrum Landhaus) hervorgegangen, die sich vor allem an Kinder mit türkischen Wurzeln richtete. "Natürlich melden erstmal die Eltern ihre Schüler auf der Schule an, die schon gute Erfahrungen gemacht haben", sagt Akin. Nach seinen Angaben haben 60 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft, 85 Prozent einen Migrationshintergrund - die meisten einen türkischen.

Akin betrachtet das als "Schieflage". Ziel sei, in einigen Jahren den Stuttgarter Bevölkerungsdurchschnitt an der Schule zu haben. Dann wären es noch rund 56 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. Insgesamt hat im Südwesten jeder vierte Einwohner (25 Prozent) ausländische Wurzeln, bundesweit sind es rund 18 Prozent.

Die politische Diskussion um türkische Gymnasien in Deutschland stößt bei Akin eher auf Unverständnis. "Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan muss erstmal erklären, was genau er sich unter einer türkischen Schule vorstellt." Da seien noch viele Fragen offen.

BiL wurde nach dem Privatschulgesetz Baden-Württembergs gegründet. Der Betrieb wird unter anderem mit dem Schulgeld von rund 200 Euro im Monat und einem Landeszuschuss finanziert. Die Schule mit rund 260 Schülern und zwölf Klassen legt Wert auf individuelle Förderung. "Wir sind eine ganz normale Privatschule, die ihre Schüler bestmöglich für diese Gesellschaft ausbilden möchte", betont Akin. dpa

Am Rande

 Bundeskanzlerin Angela Merkel schüttelt Hände an der deutschen Schule in Istanbul. Foto: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel schüttelt Hände an der deutschen Schule in Istanbul. Foto: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich für ein neues Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei bis Ende des Jahres eingesetzt. Sie sei sich mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan einig, dass die Finanzminister beider Länder schnell die offenen Fragen klären müssten, sagte Merkel. Außerdem sprach sie sich für Visa-Erleichterungen für türkische Bürger in der EU aus. Davon sollten Wirtschaftsvertreter, Akademiker, Künstler und Studenten profitieren, sagte Merkel bei einem Wirtschaftsforum. Zudem erhoffen sich Türkei und Deutschland von der in Istanbul geplanten gemeinsamen Universität eine Verstärkung ihrer Zusammenarbeit. dpa/afp

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