Ankara lässt Kurdenpolitiker verhaften

Istanbul · Die Bundesregierung sieht „alle internationalen Befürchtungen“ bestätigt: Die Chefs der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP müssen in der Türkei ins Gefängnis. Alles rechtskonform, meint die Regierung in Ankara.

Trotz internationaler Kritik an dem zunehmend autoritären Kurs der Türkei müssen die beiden Vorsitzenden der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP ins Gefängnis: Ein Gericht in der Kurdenmetropole Diyarbakir verhängte gestern wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft gegen die Doppelspitze aus Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Insgesamt sei gegen acht HDP-Abgeordnete Haftbefehl erlassen worden. Unter ihnen sei auch der Chef der Fraktion im Parlament in Ankara, Idris Baluken.

Bei Polizeirazzien waren in der Nacht insgesamt zwölf HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Parlamentarier seien unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden, berichtete Anadolu. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Die Festnahmen riefen international Kritik hervor. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) bestellte den türkischen Gesandten Ufuk Ezer ins Auswärtige Amt ein. Steinmeier: "Es ist jetzt an den Verantwortlichen in der Türkei, sich klar zu werden, welchen Weg ihr Land gehen will und was das bedeutet für die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU." Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Festnahmen bestätigten "alle internationalen Befürchtungen".

Die türkische Regierung bezeichnete die Festnahmen als "rechtskonform" und äußerte ihrerseits erneut heftige Kritik an Deutschland. Justizminister Bekir Bozdag sagte, weder Kanzlerin Angela Merkel noch die EU hätten das Recht, der Türkei "Lehren zu erteilen". Er betonte, dass "die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche". Bozdag griff zugleich Deutschland scharf an. "Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche. Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte." Erdogan hatte Deutschland am Donnerstag vorgeworfen, Terroristen Unterschlupf zu bieten, statt "rassistische Übergriffe gegen Türken" zu verhindern.

Wenige Stunden nach den nächtlichen Festnahmen kam es in Diyarbakir zu einem schweren Autobombenanschlag, den die Regierung der PKK zuschrieb. Die PKK rief alle Kurden zum bewaffneten Widerstand auf.

Meinung:

Alles hört auf sein Kommando

Von SZ-Mitarbeiterin Susanne Güsten

Die Festnahme der kurdischen Abgeordneten und der wachsende Druck auf die Medien in der Türkei entsprechen einem Eskalationsmuster, das seit dem Putschversuch vom Juli die politische Linie von Präsident Recep Tayyip Erdogan bestimmt. Der 62-jährige nutzt das Entsetzen der Öffentlichkeit über den Umsturzversuch zur Vorbereitung eines Präsidialsystems mit ihm selbst an der Spitze. Der politische Charakter der Türkei könnte sich damit in den kommenden Monaten auf Dauer grundlegend wandeln. Zumindest in der nächsten Zeit sind weitere Spannungen und möglicherweise auch blutige Auseinandersetzungen zu erwarten.

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