Angriff auf die Kanzlerin

Berlin. Es ist schon vertrackt: Das Moderieren hinter den Kulissen, ihr pragmatischer und sachlicher Führungsstil aus der Zeit der großen Koalition mit der SPD galt noch bis vor kurzem als Angela Merkels Erfolgsrezept. Nun wird ihr genau dies als Schwäche ausgelegt. Angesichts des Stolperstarts der neuen Bundesregierung rückt die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zunehmend in den Blick

Berlin. Es ist schon vertrackt: Das Moderieren hinter den Kulissen, ihr pragmatischer und sachlicher Führungsstil aus der Zeit der großen Koalition mit der SPD galt noch bis vor kurzem als Angela Merkels Erfolgsrezept. Nun wird ihr genau dies als Schwäche ausgelegt. Angesichts des Stolperstarts der neuen Bundesregierung rückt die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zunehmend in den Blick. Innerparteilich macht sich die zweite Reihe Luft - wobei sich dahinter mehr verbirgt als nur Ärger und Enttäuschung über den Auftakt von Schwarz-Gelb. Es geht dem politischen Nachwuchs offenbar auch um den künftigen Kurs der CDU.

Das System Merkel, es wird in Frage gestellt: "Der präsidiale Stil der Kanzlerin brachte ihr zwar hohe Popularitätswerte, aber wenig parteipolitische Identifikation", bemängeln die CDU-Fraktionschefs in den Landtagen von Hessen, Sachsen und Thüringen, Christean Wagner, Steffen Flath und Mike Mohring, sowie die brandenburgische Fraktionsvize Saskia Ludwig. Die Regierungsmehrheit für CDU/CSU und FDP sei nicht das Ergebnis einer überzeugenden Wahlkampfstrategie gewesen. "Vielmehr hatte die Union schlichtweg Glück", so die Vier in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Ein Frontalangriff auf Merkel, der geschickt platziert ist, weil Ende der Woche der Bundesvorstand auf einer Klausur in Berlin unter anderem über den Wahlausgang diskutieren wird. Schlappe 33,8 Prozent fuhr die CDU im September letzten Jahres ein. Eine große Enttäuschung. Im Wahlkampf sei es versäumt worden, den Wählern die eigenen Standpunkte zu verdeutlichen und zu erklären, was die Union ohne den Zwang zum Kompromiss mit der SPD getan hätte, rüffeln die Landespolitiker weiter. Nun könnte man sagen: Diese vier Christdemokraten kennt kaum jemand, viel gefährlicher wäre es für die CDU-Chefin, wenn sich auch noch der ein oder andere Ministerpräsident öffentlich so einlassen würde. Das ist bisher nicht der Fall. Aber die Debatte um Merkel ist nun da. Und die Landes-Unionisten stoßen auf ein weit verbreitetes Gefühl innerhalb der Partei. Vielen ist die CDU nicht mehr konservativ genug, sondern in der großen Koalition zu sehr nach links gedriftet. Merkel hat die Partei umgekrempelt und dabei manchem vor den Kopf gestoßen: Erinnert sei an die immer noch nicht verziehene Papst-Kritik im vergangenen Jahr wegen der Holocaust-Leugnung eines Bischofs. Oder an ihr anhaltendes Schweigen im Fall der Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach. Inhaltlich hat Merkel der Union zudem eine gänzlich neue Familienpolitik verordnet, die nach wie vor umstritten ist. Modernisierungskurs nennen ihre Getreuen dies, Profillosigkeit ätzen die Gegner.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Peter Altmaier, weist die Kritik zurück. "Dass die Union in den Umfragen meilenweit vor der SPD liegt, verdankt sie vor allem Angela Merkel und ihrem Kurs der Erneuerung", sagte der Saarländer gestern zu unserer Zeitung. Er dreht den Spieß um und sieht die Konservativen in der Pflicht, sich ihrerseits stärker um das Stammklientel der Union zu bemühen: "Wer den Kurs der CDU kritisiert, muss auch selber sichtbarer werden."

Zugleich warnt er davor, die innerparteiliche Kritik zu überziehen. Es sei vielmehr ratsam, sich "konstruktiv an der Analyse des Wahlergebnisses" zu beteiligen. Die Klausurtagung der CDU in dieser Woche dürfte spannend werden.

Hintergrund

81 Prozent der Bundesbürger erwartet einer Umfrage zufolge von den Parteichefs Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) nach dem Fehlstart der schwarz-gelben Koalition ein neues Regierungsprogramm. Nur 14 Prozent sind der Meinung, die schwarz-gelbe Koalition brauche kein neues Programm, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Emnid für die Zeitung "Bild am Sonntag". Sogar 76 Prozent der Anhänger von Union und FDP fordern eine neue Agenda von den Parteivorsitzenden.

Eine deutliche Mehrheit von 61 Prozent der Deutschen hält den Start der Regierung für misslungen. Ein weiteres Indiz für die Unzufriedenheit mit Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle: 48 Prozent wünschen sich, dass Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zum zweiten Vizekanzler in der Regierung aufsteigen soll. ddp

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