Angela Merkels "amerikanischer Traum"

Washington. Die Bundeskanzlerin fühlt sich wohl auf der Weltbühne. Besonders an diesem sonnigen Tag unter der weißen Kuppel des Kapitols im voll besetzten Sitzungssaal

Washington. Die Bundeskanzlerin fühlt sich wohl auf der Weltbühne. Besonders an diesem sonnigen Tag unter der weißen Kuppel des Kapitols im voll besetzten Sitzungssaal. Hier, im Herzen der amerikanischen Demokratie, gibt es für die im dunkelblauen Hosenanzug erschienene Rednerin Angela Merkel immer wieder stehende Ovationen, "Hey"-Rufe, Wangenküsse vom Ex-Vizepräsidentschaftskandidaten Joe Lieberman - und das wohlige Gefühl, unter Freunden zu sein. "A great speech" - eine große Rede, raunt der republikanische Senator John Ensign seinen Kollegen im Flur zu, als die Kanzlerin nach 35 Minuten ihren historischen Auftritt beendet hat. Auch fast das gesamte Kabinett von Barack Obama, von dem sie zuvor bei einem 60-minütigen Gedankenaustausch im Weißen Haus mit Lob ("Voller Energie und mit einer starken Vision") überschüttet worden war, ist vertreten - und erlebt mit den Parlamentariern eine geschickt formulierte Rede, die mehr ist als das angekündigte "Danke" für die Hilfestellung der USA beim Fall der Mauer. Merkel präsentiert sich vielmehr als deutsche Version des "American Dream" - und die Schilderungen ihres eigenen Aufstiegs und der ersten Wahrnehmungen Amerikas nach dem Fall der Mauer ("Der Pazifische Ozean war grandios") sind Balsam für das Publikum, das solche Erfolgsgeschichten liebt und sich nur allzu gerne daran erinnern lässt, wie einst John F. Kennedy und Ronald Reagan Anteil und Einfluss auf das Schicksal der damals getrennten deutschen Nation nahmen. Deshalb fällt es der Bundeskanzlerin dann auch leicht, mit der Metapher der zu überwindenden und einzureißenden Mauern des 21. Jahrhunderts ihre politischen Bitten vorzutragen - nicht allzu besserwisserisch-abmahnend, aber auch nicht zu bescheiden. Denn sie weiß: Vor allem beim Thema Klimaschutz sind die Erwartungen an sie hoch bei jenen, die sich wirkliche Fortschritte in Kopenhagen erhoffen. Merkels Appell, nun keine Zeit mehr zu verlieren und international verbindliche Verpflichtungen zu übernehmen, ist besonders pikant, weil ausgerechnet im Saal auch ein Teil jener Bremser sitzt, die allzu starke Einschnitte ablehnen und das Klimaschutzgesetz Obamas blockieren. Doch sie geht auf die Zweifler nicht ein - und drängt stattdessen, auch diese "Mauer zwischen Gegenwart und Zukunft" zu überwinden. Die Zuhörer erleben aber auch, wie sich die Kanzlerin als Europäerin präsentiert. Am Nachmittag sollte die EU-Spitze ebenfalls mit Barack Obama zusammentreffen, und Merkel nutzt den Kongress-Auftritt für eine klare Diagnose der transatlantischen Beziehungen: "Einen besseren Partner als Amerika gibt es für Europa nicht, und einen besseren Partner als Europa gibt es für Amerika nicht." Auf die Reibungspunkte geht die Kanzlerin nicht ein, stattdessen gibt es Klartext und begeisterten Beifall beim Thema Iran ("Die Sicherheit Israels ist für mich nicht verhandelbar") und den unverbindlichen Hinweis, Deutschland stelle sich der Verantwortung in Afghanistan. Den letzten Absatz ihrer Rede trägt die Bundeskanzlerin zum Entzücken der Versammelten in englischer Sprache vor. Und wieder gibt es Hochrufe, ein Spalier zum Händeschütteln und die Erkenntnis: Amerikas politische Elite liebt Dankesreden, aber auch einen berechenbaren Partner in Berlin. Meinung

Mädchen aus dem Osten

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff Eine Ansprache vor allen Abgeordneten von Repräsentantenhaus und Senat und vor dem gesamten amerikanischen Kabinett, das ist eine riesige Chance für eine deutsche Bundeskanzlerin. Eine historische zudem, denn zuletzt hatte Konrad Adenauer vor 52 Jahren diese Gelegenheit. Es ist die Chance, Europas Denken und Handeln verständlich zu machen. Sein Verständnis von der sozialen Marktwirtschaft und von globaler Verantwortung. Es ist auch die Chance, Deutschland zu präsentieren, als Teil dieses Europas und Teil dieser Verantwortung. Angela Merkel hat diese Chance gestern genutzt.Vordergründig kam sie, um Danke zu sagen. Und vordergründig hat sie gestern bei ihrer Rede im Kapitol den amerikanischen Traum bedient, die hollywoodreife Story vom Mädchen hinter dem Stacheldraht, das befreit wird und als Kanzlerin nach Washington kommt, um den Befreiern Danke zu sagen. Sie hat dabei den Amerikanern nach Kräften geschmeichelt. Doch Merkel hat gleichzeitig ihre persönliche Lebensgeschichte genutzt, um den Repräsentanten der USA zu sagen, dass die Menschen erwarten, dass jetzt auch jene anderen Mauern in der Welt eingerissen werden, an denen nicht zuletzt die USA mitgebaut haben. Von den unkontrollierten Finanzmärkten über den ungerechten Welthandel bis hin zur Gefährdung des Weltklimas durch ungehemmten Verbrauch fossiler Energien. Standing Ovations gab es dafür. Ein Beifall, den Barack Obama für seine Politik im Kapitol schon längst nicht mehr bekommt. Welch ein Auftritt.

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