Anatomische Safari in NeunkirchenEinen Schädel in Mutters Kochtopf ausgekocht

Neunkirchen. Das Rentier hat's gewaltig zerfleddert. Hier der Magen-Darmtrakt, einen Meter weiter der Penis und am entgegengesetzten Ende der Rest des Tieres - mit Laufgeschirr und allem Drum und Dran. Ein Horrorszenarium mit viel Blut, so richtig zum Ekeln? Keineswegs. Eine Weltpremiere vielmehr. Die Ausstellung "Körperwelten der Tiere" des Plastinators Gunther von Hagens

 Ein Braunbär in der Ausstellung "Körperwelten". Foto: bub

Ein Braunbär in der Ausstellung "Körperwelten". Foto: bub

Neunkirchen. Das Rentier hat's gewaltig zerfleddert. Hier der Magen-Darmtrakt, einen Meter weiter der Penis und am entgegengesetzten Ende der Rest des Tieres - mit Laufgeschirr und allem Drum und Dran. Ein Horrorszenarium mit viel Blut, so richtig zum Ekeln? Keineswegs. Eine Weltpremiere vielmehr. Die Ausstellung "Körperwelten der Tiere" des Plastinators Gunther von Hagens. Ab heute ist sie im Neunkircher Zoo zu sehen. Gestern bereits wurde ihr Prunkstück enthüllt nach einem doppelten "Törrö" ihres Schöpfers: der Elefant Samba, ehemals im Neunkircher Zoo beheimatet, vor fünf Jahren gestorben und dem Plastinator zur Verfügung gestellt.

In voller Lebensgröße liegt der Elefantenkuh ihr Gehirn zu Füßen, das Nervensystem dahinter ausgebreitet. Dass die 3,5 Tonnen ehemaliges Lebendgewicht sich präsentieren können, dafür sorgen vier Tonnen Silikon und Edelstahl, der ins Arteriensystem zur besseren Stabilisierung eingelassen wurde. Dadurch hat sich das Gewicht mehr als verdoppelt. Wie sich das für den Höhepunkt gehört: Der Elefant kommt am Schluss - im letzten Teil der Ausstellung in der eigens angeschafften rund 740 Quadratmeter großen Traglufthalle.

Stattliche 120 Plastinate sind hier zu sehen, so genau gezählt hatten das von Hagens und seine Kuratorin und Ehefrau Angelina Whalley bis gestern noch nicht. Klar ist: Es gibt 20 Scheiben-Plastinate - das sind etwa einen Millimeter dicke Querschnitte durch den Körper, haltbar gemacht und hinter Glas gezeigt - und 15 ganze Körper. Begrüßt wird der Besucher von deren kleineren Vertretern: Ziegenbock, Schaf, Rentier und Fohlen zeigen mal mehr Muskelmasse, mal mehr Adergeflecht. Auf jeden Fall jedoch scheinen sie alle in Bewegung. Erklärende Tafeln geben Informationen über die Tiere, ihre Herkunft, die Anatomie und die Fertigung der Plastinate. Allerlei Kleingetier - Küken, Katzen und die so gar nicht mehr Angst einflößende Mini-Schlange - sind gemeinsam mit Innereien der verschiedensten Art in Vitrinen zu sehen.

Die erste Vitrine wird beäugt von einem gar seltsamen Fabelwesen, dem Fliegenden Yak. Das stellt sich bei näherer Betrachtung als Plastinat eines einzelnen Yaks dar, die Seitenteile wie Flügel geöffnet, ein Teil des Kopfes wie ein zweites Haupt von hinten das erste überragend. Und während man Bär, Gorilla und Strauß im Dreierkränzchen gegenüberstehend auf Herz und Nieren, oder besser: Muskel für Muskel prüfen kann, wird die Neugier gelockt von Fabelwesen Nummer zwei. Eine Art vierköpfiges Monster? Nein, eine exponierte Giraffe mit dem Kopf in vier Scheiben. Fast schon ein Kunstwerk. Doch noch mehr ist das der Artgenosse, der da in Scheiben von der Decke baumelt wie eine Art origineller Trennvorhang.

In dieser Form - als Scheibenplastinat - sollte im Übrigen auch Chiana, Neunkirchens verstorbener Elefant Nummer zwei, daherkommen. Weil der Platz dafür aber nicht gereicht hat, müssen sich die Besucher darauf beschränken, eine Scheibe des Fußes und des Beines zu betrachten. Womit wir wieder beim Elefanten wären. Und beim Rentier. Denn links und rechts von Samba in den Vitrinen findet man einige der erwähnten Rentier-Kleinteile. Riesige Fotos hinter den jeweiligen Plastinaten zeigen, wie die Tiere lebend aussehen. Eines der äußeren Zeichen dafür, was von Hagens und Whalley nach eigener Aussage mit der Ausstellung wollen: Sensibilisieren für die Tiere und die Natur. Ob dies gelingt, das müssen die Besucher selber rausfinden. Sicher ist aber eines: Wer sich wohlige Gruselschauer erwartet, der kommt unter falschen Voraussetzungen. Gruselig ist anders.

Zu sehen täglich bis 2. Mai 8.30 bis 18 Uhr.

Neunkirchen. Auch seinen 94-jährigen Vater hat er dabei, der aus Heidelberg stammende Plastinator Gunther von Hagens. Und der erinnert in Neunkirchen an die Anfänge des Anatomen. "Da hast du einen Schädel in Mutters Kochtopf ausgekocht", korrigiert er seinen Sohn, während dessen Aufzählung seines Werdegangs. "Seit fast 40 Jahren bin ich Human-Anatom", rechnet von Hagens nach. Tierplastinate hat das Institut schon öfter gemacht, hat sie immer mal bei den Körperwelten-Ausstellungen mit präsentiert und gemerkt: "Je größer desto attraktiver für die Besucher." Der Anruf, dass es da eine Neunkircher Elefantenkuh zu plastinieren gebe, hatte von Hagens deshalb gerade auf dem richtigen Fuß erwischt.

Zwar hat dies das Privat-Institut letzten Endes 3,5 Millionen Euro gekostet, lohnen soll sich's aber allemal. Zum einen ideell: "Veterinäre Deutschlands kommt nach Neunkirchen", lautet von Hagens Aufruf, der sich wünscht, dass die ihr Herz für die "Submakroskopie" entdecken. Und zum anderen auch gerne finanziell. Amerikanische Zoos haben bereits ihr Interesse an den Neunkircher Ausstellungsstücken angemeldet. Den Zuschlag wird vermutlich San Diego kriegen. ji

Stichwort

 Ein Gast betrachtet einen plastinierten Strauß. Foto: bub

Ein Gast betrachtet einen plastinierten Strauß. Foto: bub

 Das Muskelgewebe eines Gorillas ist freigelegt. Foto: Hiegel

Das Muskelgewebe eines Gorillas ist freigelegt. Foto: Hiegel

 Ein Braunbär in der Ausstellung "Körperwelten". Foto: bub

Ein Braunbär in der Ausstellung "Körperwelten". Foto: bub

 Ein Gast betrachtet einen plastinierten Strauß. Foto: bub

Ein Gast betrachtet einen plastinierten Strauß. Foto: bub

 Das Muskelgewebe eines Gorillas ist freigelegt. Foto: Hiegel

Das Muskelgewebe eines Gorillas ist freigelegt. Foto: Hiegel

Die Plastination ist ein Verfahren zur Konservierung von Tierkadavern und Menschenleichen: Fette und Flüssigkeiten werden entzogen und durch Kunststoff ersetzt. Zuerst pumpen Spezialisten Formalin durch die Arterien und Gefäße des toten Körpers, um die Verwesung zu stoppen. Dann werden Haut und Gewebe entfernt und anatomische Strukturen freigelegt. Anschließend wird der Körper entwässert, wobei die Körperflüssigkeit durch Aceton und dieses später durch flüssigen Kunststoff ersetzt wird. Gehärtet wird das Präparat mit einem speziellen Gas. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Neue Saarstahl-SchmiedeIm Eiltempo geht es bei den Bauarbeiten am Völklinger Saarufer voran: In der Riesenhalle der neuen Saarstahl-Schmiede, in die das Unternehmen rund 450 Millionen Euro investiert, laufen die Maschinen bereits im Probebetrieb. Am 8. Ma
Neue Saarstahl-SchmiedeIm Eiltempo geht es bei den Bauarbeiten am Völklinger Saarufer voran: In der Riesenhalle der neuen Saarstahl-Schmiede, in die das Unternehmen rund 450 Millionen Euro investiert, laufen die Maschinen bereits im Probebetrieb. Am 8. Ma