Analyse: Wahlnacht wird zum Nervenkrieg

Washington · Die Demoskopen haben wieder einmal danebengelegen, wie schon vor dem Brexit-Votum in Großbritannien. Donald Trump hat weit besser abgeschnitten, als es die Meinungsforscher noch am Tag vor der Wahl für möglich gehalten hatten.

Es scheint tatsächlich einzutreten, zumindest realistisch denkbar, was er süffisant den "Brexit plus, plus, plus" genannt hat.Vielleicht ist es einfach so, dass das Versprechen des New Yorker Milliardärs, für den radikalen Wandel zu stehen, die Oberhand behalten hat über die Vernunftargumente einer Hillary Clinton, die wie kaum jemand sonst in der amerikanischen Politik den Status quo symbolisiert. Am Status quo festzuhalten, davon hält eine Mehrheit der amerikanischen Wähler offensichtlich nichts, nicht in der aufgeladenen Stimmung des Jahres 2016.

Mag sein, dass Trump, falls er denn Präsident wird, diese Mehrheit bald bitter enttäuscht. Am 8. November aber hat sie sich des schrillen Alleinunterhalters wie eines Knüppels bedient, um dem politischen Establishment einen Denkzettel zu verpassen. Einer Elite in Washington, der viele nicht mehr zutrauen, die Interessen einfacher Leute in der Provinz zu vertreten. Einer Elite, von der viele nicht mehr glauben, dass sie überhaupt noch weiß, wie die einfachen Leute in der Provinz leben.

Trump hat den Zorn noch geschürt, er hat die Wirklichkeit in den düstersten Farben gemalt, damit er sich umso effektvoller als Retter in höchster Not verkaufen konnte. Er hat sich unterschwelliger Ressentiments bedient, um weißen Amerikanern das Gefühl zu geben, als gehe der demografische Wandel auf ihre Kosten, als drohe der Untergang des Abendlandes, wenn der Anteil von Hispanics und Einwanderern mit asiatischen Wurzeln an der Bevölkerung steigt. Mit simplen Parolen hat er Freihandel und Globalisierung verantwortlich gemacht für die Misere im Rostgürtel der alten Industrie. Und genau dort, in Staaten wie Pennsylvania, Ohio, Michigan und Wisconsin, ist es ihm gelungen, die frustrierte Arbeiterschaft ebenso wie die verunsicherte Mittelschicht auf seine Seite zu ziehen. Dass Michigan und Wisconsin, eigentlich Hochburgen der Demokraten, eine auf Messers Schneide stehende Wahl entscheiden würden - in den Drehbüchern der Demoskopen sind solche Szenarien nicht vorgekommen.

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