Als Saarbrücken Großstadt wurde

Ja, es stimmt: Saarbrücken hat keine Champs Elysées, keinen Ku'damm, keine Reeperbahn und keinen Petersplatz. Saarbrücken liegt nicht am Meer, nicht bei den Bergen, es gibt weder riesige Wolkenkratzer noch putzige Patrizierhäuser. Nicht mal richtig viele Einwohner hat Saarbrücken, nur etwa 176 000 Stück, weniger als Augsburg oder Wuppertal

 Heute eine moderne Metropole: Saarbrücken bei Nacht. Die Stadtautobahn dominiert das Bild. Links das hell erleuchtete Staatstheater, rechts das Schloss mit Schlosskirche, im Hintergrund auf der Anhöhe das Winterberg-Klinikum. Fotos: SZ/Rich Serra

Heute eine moderne Metropole: Saarbrücken bei Nacht. Die Stadtautobahn dominiert das Bild. Links das hell erleuchtete Staatstheater, rechts das Schloss mit Schlosskirche, im Hintergrund auf der Anhöhe das Winterberg-Klinikum. Fotos: SZ/Rich Serra

Ja, es stimmt: Saarbrücken hat keine Champs Elysées, keinen Ku'damm, keine Reeperbahn und keinen Petersplatz. Saarbrücken liegt nicht am Meer, nicht bei den Bergen, es gibt weder riesige Wolkenkratzer noch putzige Patrizierhäuser. Nicht mal richtig viele Einwohner hat Saarbrücken, nur etwa 176 000 Stück, weniger als Augsburg oder Wuppertal. Aber eines hat die saarländische Landeshauptstadt: Charme. Ein bisschen jedenfalls.

Morgen, am 1. April, wird die Großstadt Saarbrücken 100 Jahre alt. Der Vereinigung der drei Kleinstädte Saarbrücken, St. Johann und dem eher dörflich geprägten Malstatt-Burbach waren jahrelange Auseinandersetzungen vorausgegangen, deren Ursprung indes allzu menschlich war: Eifersüchteleien und die Furcht vor Bedeutungsverlust ließen die Bürgermeister und Ratsherren erbittert um Kompetenzen und Privilegien streiten. Schließlich siegte die Vernunft, und die drei Städte an der Saar verschmolzen zur Großstadt Saarbrücken mit damals 105 000 Einwohnern.

Es war ein langer Weg dorthin. Rund 1000 Jahre ist es her, dass die Gemarkung "Sarabruca" erstmals urkundlich erwähnt und dem Bistum Metz als "Castellum" geschenkt wurde. Ab 1120 entstand die Grafschaft Saarbrücken, danach ging es im Mittelalter drunter und drüber, wobei der Dreißigjährige Krieg besonders verheerend war: Die Überlieferung besagt, dass damals (1637) nur noch 70 Menschen in den Ruinen der Stadt gelebt haben. 40 Jahre später ließ dann "Sonnenkönig" Ludwig XIV. seine Truppen an der Saar wüten. Erst im 18. Jahrhundert hatte der geniale Baumeister Friedrich Joachim Stengel Ruhe, um im Auftrag des Fürsten Wilhelm Heinrich die Ludwigskirche und barocke Straßenzüge zu entwerfen. Die hielten auch dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 stand, weil sich die Soldaten vorwiegend auf den Spicherer Höhen (wo heute "tout Sarrebruck" im Gasthaus Woll Crémant schlürft) gegenseitig totschossen. Den fürchterlichen Rest gaben der einst stolzen Residenzstadt schließlich die Briten, deren Bomber die Hauptstadt des "Saargebiets" am 5. Oktober 1944 und 13. Januar 1945 in Schutt und Asche legten.

Als Saarbrücken vor 100 Jahren Großstadt wurde, konnte sich die Katastrophen, die noch kommen sollten, niemand vorstellen. Damals war die Welt noch einigermaßen in Ordnung, wie der Saarbrücker Zeitung zu entnehmen war. Nachdem der Kampf um die Stadt, den Namen und die Höhe der Gewerbesteuern geschlagen war, machte zumindest die SZ wenig Aufhebens von dem Ereignis. Auf Seite 2 stand am 1. April 1909 bloß eine Meldung mit der Überschrift "Im Zeichen der Großstadt", in der lapidar erklärt wurde, dass "mit dem heutigen Tage eine neue Aera" beginne. Weiter hieß es: "Die jüngste Schwester unter den Gemeinwesen Deutschlands, die über 100 000 Einwohner zählen, rüstet sich, ihren Platz würdig auszufüllen und hineinzuwachsen in die größeren Aufgaben, die in Hülle und Fülle ihrer harren." Und, noch schöner: "Man hat die Großstadt Saarbrücken in den Sattel gesetzt, reiten wird sie schon können."

Und sie war durchaus stattlich, diese neue Stadt. Die ehemalige Residenz der Fürsten zu Nassau-Saarbrücken war vor allem auf Altsaarbrücker und St. Johanner Seite ein provinzielles Kleinod mit alten Barockhäusern, der rostroten Alten Brücke und der unbegradigten Saar mit ihren grünen Auen. Zwar dominierten (in Burbach) die Eisenwerke und ansonsten mehrere größere Kasernenblöcke das Stadtbild, doch gab es auch eindrucksvolle Bauwerke unterschiedlichster Stilarten (Ludwigskirche, Basilika St. Johann, Schloss, Villa Röchling, Kasino, Bergwerksdirektion, Landgericht).

Heute sieht es etwas anders aus in der Stadt, sie ist kaum wiederzuerkennen. Vor allem der schlichte Bauhausstil der Nachkriegszeit prägt nunmehr die City und ihre Randbezirke: Graue Häuserzeilen, gestückelte Ensembles und moderne Kaufhaus-Fassaden zeugen von hilflosen Versuchen, der Stadt ein attraktives Gesicht zu geben. Wo früher ein prächtiger Hauptbahnhof stand, dominiert heute ein hässlicher Betonklotz, und dem ankommenden Reisenden bietet sich beim "Entrée" ein architektonisches Desaster. Die Bahnhofstraße ("Rue"), ehedem ein pulsierendes Pflaster mit Hotels, Cafés und einheimischem Kleingewerbe, ist zur seelenlosen Einkaufsmeile mit austauschbaren Filialen großer Konzerne mutiert. Und ehemals wichtige Achsen wie Dudweilerstraße, Metzer Straße oder Kaiserstraße laden eher zum Schnellerfahren als zum Verweilen ein. Optisch ist Saarbrücken sicher keine Perle mehr, auch wenn es reizvolle Plätze gibt wie den Ludwigsplatz oder den St. Johanner Markt, der an warmen Tagen eine leise Ahnung vom alten Charme der Saarbrücker Bourgeoisie vermittelt.

Immerhin, Saarbrücken ist Landeshauptstadt. Sitz von Ministerien und Behörden, einer namhaften Universität und eines renommierten Staatstheaters. Sie hat drei feine Viertel (Am Staden, Am Rotenbühl, Am Triller) und eine Stadtautobahn, die Urbanität (und Lärm) vermittelt. Saarbrücken hat auch noch ein paar historische Gebäude (wiederaufgebaut), unter anderem das Schloss, die Ludwigskirche, Landtag und Rathaus. Ferner einen deutsch-französischen Garten und ein Ludwigspark-Stadion, das indes schon bessere Zeiten gesehen hat. Überhaupt der Sport: Jahrzehntelang ein Keim des Stolzes seiner Einwohner, sind die Traditionsnamen FCS, Saar 05 oder ATSV in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Dafür hat die Stadt heute einen Haufen Schulden (rund 500 Millionen Euro), verliert immer mehr Einwohner (nach der Kreisreform von 1974 waren es noch 210 000). Saarbrücken, das nach dem Zweiten Weltkrieg als aufstrebende Metropole des damals autonomen "Saargebietes" beinahe Sitz europäischer Institutionen geworden wäre, ist heute eine, ja: kleine Großstadt mit Flair und Kultur, in der es sich gut leben lässt. Zwar muss Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (die erste Frau in diesem Amt) den Mangel verwalten und sich mit der Landesregierung über die Finanzierung einer neuen Eventhalle oder eines neuen Stadions streiten. Doch wenn alles gut geht und genügend Geld aus Berlin und Brüssel fließt, kann zumindest das Mammutprojekt "Stadtmitte am Fluss" verwirklicht werden, ein Vorhaben, das der Innenstadt ein freundlicheres Gesicht und ein besseres Image verschaffen könnte. Bis es soweit ist, müssen sich die Saarbrücker aber noch etwas gedulden. Und wenn sie sich aufmuntern wollen, können sie von alten Zeiten träumen und die Hymne der Hauptstadt singen: "Mir sinn Saarbrigger, unn schbiele Kligger unn stemme Blutworscht, mit ääner Hand." "Man hat

die Großstadt Saarbrücken

in den Sattel gesetzt, reiten wird sie schon können."

Saarbrücker Zeitung vom 1. April 1909

Auf einen Blick

Saarbrücken ist die Landeshauptstadt des Saarlandes. Der Name stammt nicht von den Brücken über die Saar, sondern leitet sich aus den Worten "sara" (fließendes Gewässer) und "briga" (Felsen) ab. Entstanden aus den drei Saar-Städten Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach ist die Metropole heute in vier Bezirke gegliedert (Mitte, West, Halberg und Dudweiler) und hat 20 Stadtteile: Alt-Saarbrücken, Malstatt, St. Johann, Eschberg, St. Arnual, Gersweiler, Klarenthal, Altenkessel, Burbach, Dudweiler, Jägersfreude, Herrensohr, Scheidt, Schafbrücke, Bischmisheim, Ensheim, Brebach-Fechingen, Eschringen, Güdingen, Bübingen.

 Saarbrücken am Anfang des vergangenen Jahrhunderts: Unser Foto zeigt den St. Johanner Markt. Der Fotograf ist nicht bekannt.

Saarbrücken am Anfang des vergangenen Jahrhunderts: Unser Foto zeigt den St. Johanner Markt. Der Fotograf ist nicht bekannt.

Die Stadt selbst zählt rund 176 000 Einwohner, der Regionalverband Saarbrücken, zu dem noch Völklingen, Kleinblittersdorf, Großrosseln, Püttlingen, Riegelsberg, Heusweiler, Quierschied, Sulzbach und Friedrichsthal zählen, hat 350 000 Einwohner. bb

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