Als die Liebe noch unbeschwert war

Berlin/Duisburg · Trillerpfeifen, Sonnenblumen und viel nackte Haut. Vor 25 Jahren wurde in Berlin die erste Loveparade gefeiert. Und heute? Was ist nach dem Unglück von Duisburg vom Mythos der Open-Air-Technoparty übrig geblieben?

"Friede, Freude, Eierkuchen" - als die Loveparade vor 25 Jahren zum ersten Mal durch Berlin zieht, hat sie das wohl freundlichste Motto aller politischen Demonstrationen . Mit 150 Technofans tanzt Parade-Gründer DJ Dr. Motte am 1. Juli 1989 bei Nieselregen für eine friedliche Weltrevolution über den Kurfürstendamm. Wenige Jahre später ist aus der Demo eine kommerzielle Veranstaltung mit mehr als einer Million Besuchern, sogenannten Ravern, geworden. Getanzt wird weiter - bis das Techno-Spektakel nach seinem Ortswechsel ins Ruhrgebiet (2007) im Jahr 2010 mit dem tragischen Unglück in Duisburg mit 21 Toten ein furchtbares Ende findet.

Der Schatten der Katastrophe und deren Aufarbeitung hafte der Stadt Duisburg stärker an als der Technoszene selbst, glaubt der Soziologe Ronald Hitzler von der TU Dortmund , selbst lange Jahre Technofan und Experte für Jugendszenen. Auch wenn es nie wieder eine Loveparade geben werde, habe das Fest Spuren hinterlassen, die über das Unglück hinausgehen: "Im Laufe der Jahre wird hinter dem Entsetzen eines Tages wieder eine nostalgische Idee der Loveparade entstehen", so Hitzler. "Einen Widerhaken wird es aber immer geben."

Die Tragödie geschieht am 24. Juli 2010: Auf der zu engen Eingangsrampe zum Festivalgelände in Duisburg kommt es zu einer Massenpanik. Mehr als 500 Menschen werden verletzt, 21 junge Frauen und Männer sterben - zerquetscht und im Gedränge erstickt. Mit ihnen stirbt die Loveparade . Das einst so unbeschwerte Fest wird zum Symbol für das Versagen der Verantwortlichen. War die Katastrophe vermeidbar? Wurde die Loveparade auf politischen Druck hin durchgesetzt? Die Fragen beschäftigen die Staatsanwaltschaft. Jahrelang ermittelt sie, erhebt schließlich im Februar 2014 Anklage wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen zehn Beschuldigte. Darunter sind weder Rainer Schaller, Chef des Veranstalters Lopavent, noch der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland, den die Bürger eineinhalb Jahre nach der Katastrophe per Abwahlverfahren aus dem Amt gefegt hatten. Wann es zum Prozess gegen die beschuldigten Mitarbeiter von Stadt und Veranstalter kommt, ist noch offen.

Das Unglück setzt einen grausigen Schlusspunkt unter das Massen-Spektakel der aus aller Welt angereisten Musikfans, Selbstdarsteller und Vergnügungshungrigen. Trillerpfeife im Mund, Sonnenblume im Haar und orange Bauarbeiter-Weste am durchtrainierten Körper - das sind bis dahin mehr als zwei Jahrzehnte die Attribute der Loveparade-Anhänger. Zu wummernden, treibenden Beats der verschiedenen Techno-Spielarten ziehen 2008 bei der letzten unbeschwerten Loveparade bis zu 1,6 Millionen Raver tanzend und zuckend über ein abgesperrtes Stück Schnellstraße in Dortmund .

Dr. Motte, mit bürgerlichem Namen Matthias Roeingh, hat da schon längst mit der Loveparade abgeschlossen. Der Raver der allerersten Stunde sieht seine Vision von einer friedlichen Weltrevolution durch seine Tanzgemeinde früh davondriften. 2001 entscheidet das Bundesverfassungsgericht , dass die Parade keine politische Demonstration mehr, sondern eine kommerzielle Veranstaltung ist. Schon vor dem Umzug der Parade ins Ruhrgebiet ist Motte nicht mehr im Organisationsteam dabei.

"Ich wollte etwas Gutes etablieren. Keine Demo gegen, sondern für alle Menschen auf diesem Planeten", erklärt der heute 53-jährige Dr. Motte das erste Paraden-Motto "Friede, Freude, Eierkuchen". "Frieden, für Abrüstung; Freude durch Musik als Mittel der Kommunikation; Eierkuchen, für die gerechte Nahrungsmittelverteilung", so der DJ, der heute immer noch elektronische Musik macht. "Die jährliche Loveparade war der Ausdruck des Zeitgeistes und eigentlich eine tanzende Jugend-Friedensbewegung, unter dem Schirm der neuen, elektronischen Tanzmusik."

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Auf einen Blick1989 tanzen auf der ersten Parade etwa 150 Menschen. 1999 feiern mehr als 1,5 Millionen im Berliner Tiergarten. 2004 und 2005 fällt die Parade mangels Sponsoren aus. 2006 gibt es wieder eine Parade. Laut neuem Veranstalter kommen bis zu 1,2 Millionen Menschen. 2007 zieht die Loveparade ins Ruhrgebiet (Essen). 2008 Rekord: 1,6 Millionen Menschen tanzen in Dortmund . 2009 fällt die Parade (geplant war sie in Bochum) aus. 2010 sterben bei einer Massenpanik in Duisburg 21 Menschen, mehr als 500 Besucher werden verletzt. dpa

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