Als der Terror nach Frankreich kam

Paris · Vor zwei Jahren ermordeten zwei Islamisten bekannte Zeichner der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“. Ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit – und der Auftakt einer beispiellosen Terrorserie. Doch „Charlie“ ist nicht in die Knie gegangen.

 Merkel-Inspektion: So sah die Titelseite der ersten deutschen Ausgabe aus. Foto: dpa/charlie hebdo

Merkel-Inspektion: So sah die Titelseite der ersten deutschen Ausgabe aus. Foto: dpa/charlie hebdo

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"Wir haben Charlie Hebdo getötet", skandierten die beiden Islamisten , nachdem sie ein Blutbad in den Redaktionsräumen in der Pariser Rue Nicolas Appert angerichtet hatten. Doch die Terroristen haben sich geirrt. Das Symbol für schonungslose Meinungsfreiheit hat überlebt, das Team des Satiremagazins den rebellischen Geist bewahrt. "Charlie" provoziert weiter, seit kurzem auch auf Deutsch. Das unterstreichen die Macher auch in der Sonderausgabe vor dem zweiten Jahrestag der Attacke. "Charlie immer noch am Leben", heißt es in einer Karikatur - daneben als Reaktion die Aufschreie von Wladimir Putin, einem Nazi, einem Bischof und einem Islamisten : "Mist!"

Am 7. Januar 2015 waren Chérif und Said Kouachi in die Redaktion eingedrungen. Sie ermordeten zwölf Menschen, darunter die bekannten Zeichner Stéphane Charbonnier (Charb), Jean Cabut (Cabu) und Georges Wolinski. Während die Täter noch auf der Flucht waren, ermordete ein weiterer Terrorist eine Polizistin und vier Menschen in einem jüdischen Supermarkt. Gestern erinnerten Innenminister Bruno Le Roux und Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit Schweigeminuten an die Opfer jener Tage. Es war der Auftakt zu einer für Frankreich beispiellosen Terrorserie mit 238 Toten, die das Land verändert hat. Eine Krise, deren langfristigen Folgen längst nicht klar sind.

Im Zuge der immer neuen Schreckensmeldungen ist der Anschlag auf "Charlie Hebdo " etwas in den Hintergrund getreten. Wenige Tage danach gingen noch Millionen Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität auszudrücken. "Je suis Charlie" war der Satz der Stunde, das Land rückte zusammen. Doch nach der Terrornacht von Paris im November 2015, spätestens aber nach dem Anschlag von Nizza, bekam die viel beschworene nationale Einheit Risse. Die richtige Strategie im Kampf gegen den Terror ist im laufenden Präsidentschaftswahlkampf ein zentraler Streitpunkt.

Auch für "Charlie Hebdo " ist der Terror damit ein Dauerthema. Nach dem Anschlag von Berlin titelte die neue deutsche Ausgabe mit der Zeichnung eines Lebkuchenhauses, aus dem Kanonenrohre ragten. "Sie werden unsere Art zu leben nicht verändern", hieß der Text dazu. Der schwarze Humor des Magazins sorgt immer wieder für Kontroversen, zuletzt die respektlosen Zeichnungen über Erdbebenopfer in Italien. Oder Veröffentlichungen zum Absturz eines russischen Militärflugzeuges. Die Zeichnungen seien entwürdigend, empörte sich das Verteidigungsministerium in Moskau. So hatte es neben dem Bild eines abstürzenden Flugzeugs geheißen: "Schlechte Nachricht ... Putin war nicht dabei."

"Charlie Hebdo " erlangte durch den Anschlag 2015 weltweite Berühmtheit, bekam viel Unterstützung, sieht sich heute dennoch wieder allein gelassen. "Wenn wir morgen eine Karikatur von Mohammed auf unsere Titelseite setzen, wer wird uns dann verteidigen?", fragt Herausgeber Laurent Sourisseau alias Riss. "Merkwürdigerweise haben wir das Gefühl, dass die Menschen noch intoleranter gegenüber Charlie geworden sind." Zumal das Blatt mit seinen häufig derben Karikaturen inzwischen auch in Ländern für Empörung sorgt, wo "Charlie Hebdo " vor dem Anschlag vollkommen unbekannt war. "Früher hat man uns gesagt, wir sollten bei Islamisten vorsichtig sein", sagt Riss. "Heute müssen wir bei Islamisten , Russen, Türken vorsichtig sein." Die Redaktion arbeitet daher an einem geheimen und drakonisch abgesicherten Ort.

Bis heute haben die Ermittlungen auch nicht alle Fragen zum Anschlag beantworten können. Wie sprachen sich die Attentäter mit dem Supermarkt-Mörder ab? Wie genau beschafften sich die später von der Polizei erschossenen Männer ihre Waffen? Welche Komplizen hatten sie? Und immer noch sind die Geheimdienste auf der Suche nach einem möglichen Auftraggeber aus Syrien.

Zum Thema:

Hintergrund Mit einer Startauflage von 200 000 Exemplaren ist Anfang Dezember die Deutschlandausgabe von "Charlie Hebdo " auf den Markt gekommen. Bislang hat das Magazin keine Verkaufszahlen veröffentlicht. Der "Charlie"-Stern dürfte aber hierzulande schnell gesunken sein: Wenig Esprit, flaue Karikaturen und erwartbare Meinungen prägen den deutschen Ableger, der bisher im Wesentlichen nichts anderes ist als eine Übersetzung des französischen Originals. red

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