Alltag einer Regenbogen- Familie

Eines Tages, Mai war etwa vier Jahre in Deutschland, stand sie am offenen Fenster. Ihre Mutter Nicole hörte, wie sie einer vorübergehenden älteren Dame zuzwitscherte: "Ich bin Mai, ich komme aus Vietnam, und ich habe zwei Mamas

Eines Tages, Mai war etwa vier Jahre in Deutschland, stand sie am offenen Fenster. Ihre Mutter Nicole hörte, wie sie einer vorübergehenden älteren Dame zuzwitscherte: "Ich bin Mai, ich komme aus Vietnam, und ich habe zwei Mamas." Damit waren für die Saarbrückerin die letzten Zweifel vom Tisch, dass der von ihr und ihrer Lebenspartnerin Astrid gewählte offensive Weg der einzig richtige war und ist: "Wenn man als Frauenpaar ein Kind adoptieren will, heißt es, sich kompromisslos zu outen. Sonst würde man sich selbst verbiegen und die Entwicklung eines gesunden Selbstgefühls des Kindes stören."

Nicole und Astrid lebten zwei Jahre zusammen, bevor sie sich für ein Kind entschieden. Beziehungsweise zu dem, was das Gesetz zuließ und bis heute zulässt. Denn obwohl die beiden eine eingetragenen Partnerschaft hatten, durfte nur eine von ihnen ein Kind adoptieren: die finanziell besser abgesicherte Nicole; sie arbeitet als freie Übersetzerin. Zugleich stand aber fest, dass Nicole nie als Alleinerziehende auftreten würde, sondern immer nur sie beide: als Paar, als Mütter, auch gegenüber den Behörden und dem Auslands-Adoptions-Vermittler Icco e.V. (Hamburg). Der Verein war damals, 2001, anders als andere Organisationen bereit, auch homosexuellen Paaren zu helfen. Mittlerweile darf der Verein überhaupt keine Auslandsadoptionen mehr durchführen; andere Organisationen vermitteln faktisch keine Kinder an Homosexuelle. So ist der Weg zur Familie, den Astrid und Nicole nahmen, heute versperrt. Sie wählten ihn weder, um ihren Gesellschafts-Verbesserungs-Eifer auszuleben, noch, um einer "Ich-wollte-schon-immer-Mutter-werden"-Sehnsucht nachzukommen. Deshalb auch keine Samenspende, kein leibliches Kind. Und bis heute sagt Nicole: "Ich definiere mich nicht über mein Lesbischsein. Ich bin eine Frau, die den Spagat zwischen Kind und Job - und inzwischen leider auch eine Trennung bewältigen muss."

Schon als junge Frau, in heterosexuellen Beziehungen, wollte Nicole - mit Hinweis auf "genug bedürftige Kinder in der Welt" - keine eigenen. Das brachte Mai zu ihr, im Alter von eineinhalb Jahren. Zwei Vietnamreisen waren dazu nötig und ein Finanz-Stock von 12 500 Euro.

Von Anfang an vermied das Paar den Eindruck, es gebe eine "richtige" und eine "falsche" Mutter. Obwohl das Gesetz genau dies zementiert: Astrid darf nur das "kleine Sorgerecht" ausüben, kann zwar gegenüber Lehrern oder Kinderärzten als Erziehungsberechtigte auftreten, doch bei einer Trennung erlischt dieses Recht. Und genau dies ist eingetreten. 2006 endete die Partnerschaft. Zwei Jahre lang blieben die zwei Frauen Mai zuliebe zumindest räumlich zusammen. Aber: "Irgendwann war die Dreisamkeit nicht mehr gut für uns, das distanzierte, freundliche Miteinander", erklärt Nicole. "Ich möchte, dass Mai lernt, dass eine Beziehung mehr ist als eine Wohngemeinschaft." Doch trotz Trennung kümmern sich Nicole und Astrid weiterhin beide um das Kind - ein Glücksfall auch für Mai. Denn angesichts der Rechtslage hätten Konflikte entstehen können.

Doch alles, was Nicole über Mai und deren Erziehung sagt, klingt verantwortungsbewusst, bemerkenswert durchdacht. Von Anfang an. Das Paar wechselte auf je eine halbe Stelle, um sich angemessen um Mai kümmern zu können. Absolvierte Vorbereitungsgespräche im Freundes- und Familienkreis. "Wir wollten Mai nicht in ein Umfeld bringen, in dem sie auf Ablehnung stößt", sagt Nicole. Überhaupt reagiere sie "empfindlich auf soziale Ausgrenzung. Ich lebe nicht zufällig in der Stadt, nicht auf dem Land und auch nicht in einer Stadt wie Rostock, wo ich ein höheres Diskrimierungsrisiko befürchten würde." Zwei lesbische Frauen mit einem vietnamesischen Kind, die passen nun mal nicht ins Schema F. Nicole erwartet nicht einmal besondere Toleranz, es reiche, "wenn die Menschen es so stehen lassen". Dafür sorgen Nicole und Astrid sicherlich auch selbst: durch Offenheit, Klarheit, Selbstverständlichkeit. Mag sein, dass Nicole deshalb von keiner hässlichen Szene berichten kann, von keiner einzigen Konfrontation. Weder mit Nachbarn, noch mit Lehrern oder Kinderärzten. Sie macht dafür das "durchlässige" Saar-Klima verantwortlich.

So ist denn alles "easy", wenn man nur am richtigen Ort lebt und alles genau überlegt hat? Ist die Gründung einer Regenbogenfamilie ein rationales Projekt? Von wegen. Wenn Nicole von der ersten Begegnung mit Mai erzählt, bemüht sie sich, "kitschige" Formulierungen zu vermeiden. Sie, die sich als junge Frau nie Kinder gewünscht hatte. Sie, die das Ganze mit einer verantwortungsbetonten "Das-Wohl-des-Kindes steht im Vordergrund"-Strategie angegangen war, fühlte sich "überwältigt" von einem Wir-gehören-zusammen-Gefühl. Erst zwei Wochen zuvor hatte man Nicole offenbart: Sie haben eine Tochter von knapp zwei Jahren. Keinen Namen, kein Bild. In Vietnam war es dann, "als würde ein Kugelblitz einschlagen - nur einer, der heute noch da ist und mich sehr glücklich macht."

Hintergrund

Adoption: Dadurch entsteht rechtlich ein "vollwertiges" Eltern-Kind-Verhältnis, das dem eines ehelich geborenen Kindes entspricht. Neben Ehepaaren können auch (homosexuelle) Einzelpersonen ein Kind adoptieren. Die gemeinsame Annahme eines Kindes ist für "verpartnerte" Homo-Paare nicht möglich. Denn wer nicht verheiratet ist, kann ein Kind nur allein annehmen, so das Gesetz.

Stiefkindadoption: Sie ermöglicht, das leibliche Kind des Lebenspartners zu adoptieren. Seit 2005 ist dies auch homosexuellen Paaren möglich; es gelten die gleichen Regeln wie für heterosexuelle Paare.

Das kleine Sorgerecht umfasst das Recht, in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens mitzuentscheiden. Es endet jedoch mit dem Getrenntleben der Partner. ce

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