Maaßen-Affäre Das Unheil über Berlin geht (noch) weiter

Berlin · Die Koalitionskrise um die Personalie Maaßen hat eine Gewinnerin: die AfD. Nun will die SPD-Chefin neu verhandeln. Und hat wohl unerwartet Erfolg.

 Apokalyptisch wirken die Wolken über dem Bundestag – wie ein Symbol für die Maaßen-Krise, die das politische Berlin weiter überschattet.

Apokalyptisch wirken die Wolken über dem Bundestag – wie ein Symbol für die Maaßen-Krise, die das politische Berlin weiter überschattet.

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Chemnitz, Maaßen und eine Regierung im Krisenmodus, der nicht enden will. Der Fall des Verfassungsschutzpräsidenten sucht seinesgleichen in der Bundesrepublik. Ein Koalitionspartner wollte den Rauswurf, der andere stimmte zu, beförderte ihn aber zugleich. Die Folge: Ausnahmezustand in der SPD. Und während sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Innenminister Horst Seehofer (CSU) am Freitag in Berlin um Harmonie beim Thema beim Wohnungsbau bemühten, mühte sich SPD-Chefin Andrea Nahles in Bayern durch Wahlkampftermine, abends zuvor gab es eine Krisensitzung im Willy-Brandt-Haus. Die Basis ist auf den Barrikaden. Nahles kämpft jetzt auch um ihren Job, den sie erst seit April hat.

Das Ergebnis des SPD-Treffens: Nahles schreibt einen Brief an die „sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin“ und den „sehr geehrten Herr Seehofer“, der dann am Freitagnachmittag alles zurück auf Anfang setzt. Sie zieht ihre Zustimmung zum Maaßen-Deal zurück. Intern wird Nahles das hoch angerechnet – so einen Schritt zu gehen, verdiene Respekt. Und ohnehin gehe das ganze Problem von „zwei eitlen Herren“ aus, Seehofer und Maaßen – wenn Letzerer von sich aus zurückgezogen hätte, wäre daraus nicht so eine Regierungskrise geworden, hieß es.

„Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben“, schreibt Nahles. „Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherzustellen. Das sollte Anlass für uns gemeinsam sein, innezuhalten und die Verabredung zu überdenken.“

Seehofer zeigt sich kurz nach Bekanntwerden des Briefs offen für eine Neuverhandlung. Und wenig später stimmt auch Merkel einem Neustart zu. „Die Bundeskanzlerin findet es richtig und angebracht, die anstehenden Fragen erneut zu bewerten und eine gemeinsame tragfähige Lösung zu finden“, teilt Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Nahles hatte sich verzockt im Fall des Verfassungsschutzchefs: „Maaßen muss gehen, und er wird gehen“, gab sie als Parole aus. Die SPD sah bei ihm eine AfD-Nähe und mangelhaften Einsatz gegen Rechtsextremismus – während Seehofer betonte, auf Maaßens Expertise nicht verzichten zu wollen. Er stützte ihn demonstrativ, anders als Nahles und Merkel, nachdem Maaßen der Kanzlerin öffentlich widersprochen hatte: Es gebe keine belastbaren Hinweise darauf, dass es nach dem Mord in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Auf Wunsch Seehofers wurde Maaßen dann aber sogar befördert. Das brachte die SPD-Krise – und spaltete die Koalition.

Die Quittung der jüngsten Turbulenzen, genau ein Jahr nach der Bundestagswahl: Die Union kommt im neuen ARD-„Deutschlandtrend“ nur noch auf 28 Prozent, der schlechteste je hier ermittelte Wert für sie. Und die AfD hat die SPD überholt: Erstmals ist sie mit 18 Prozent zweitstärkste Kraft in Deutschland (SPD: 17).

„SPD überholt, jetzt nehmen wir die CDU ins Visier“, gibt die AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel denn auch die Devise aus. Nach den Wahlen im Oktober in Bayern und Hessen dürften die Rechtspopulisten in jedem der 16 Landesparlamente sitzen. Statt fast 90 Prozent Stimmenanteil bei der ersten großen Koalition 1966 kommen Union und SPD gerade nur noch auf 45 Prozent. Eine Zeitenwende bahnt sich an, Chemnitz entzweite das Land weiter. Und die allgemeine Nervosität, der Druck, führt auch zu erstaunlichen Fehlern im Regierungshandeln.

Am Montag kommt der 45-köpfige SPD-Vorstand zusammen, aber auch wenn der Frust groß ist, soll die Koalition wohl fortgeführt werden. Doch bei einem Debakel in Bayern und Hessen könnte es für Nahles eng werden – und die Frage ist, wie die neue Lösung im Fall Maaßen am Ende aussehen soll. Es kann sein, dass man wegen der Wahlen erstmal auf Zeit spielt. Der Kitt, immer noch mal die Kurve zu kriegen, ist die AfD. Denn eine Neuwahl könnte die Partei auf über 20 Prozent hieven. Was alle vermeiden wollen.

Für FDP-Chef Christian Lindner zeigt das Hin und Her der Koalition letztlich nur Merkels schwindenden Einfluss. Das Ergebnis in Sachen Maaßen sei eine Farce gewesen, sagte Lindner. Und zu Nahles‘ Brief: „Auch diese Volte wird den Schaden nicht begrenzen, sondern noch weiter vergrößern.“

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