„Alle wissen, dass der Brandschutz oft an der Wirklichkeit vorbeigeht“

Für Alexander Schwehm, seit Juni Präsident der saarländischen Architektenkammer, regiert in der Bauwirtschaft die Angst – Angst vor Regressforderungen und vor Versicherungsfällen. Auch da, wo der gesunde Menschenverstand einem sage, dass Rauchmelder es auch täten, findet Schwehm, der in Saarlouis ein eigenes Architekturbüro hat. Im Interview mit SZ-Redakteur Christoph Schreiner bezieht Schwehm (61) Position.

In Deutschland sterben im Jahr mehr Menschen durch Ertrinken (389) als durch Brände (347). Wie ist die landauf, landab grassierende Brandschutz-Hysterie zu erklären?

Schwehm: Es wird Angst geschürt. Von verschiedenen Seiten, hauptsächlich von der Industrie, die mit dem Schüren von Angst Geld verdient. Architekten, Sachbearbeiter in Bauämtern und Bauherren werden in Angst versetzt. Dreimal Angst - damit lässt sich trefflich Geld verdienen.

Werden darum die Anforderungen ins Maximale getrieben?

Schwehm: Ja. Was wir brauchen, ist nicht das maximal Mögliche, sondern das Notwendige, um dem Brandschutz Genüge zu tun.

Immer mehr Kitas und Schulen werden aufgerüstet, etwa Fluchttreppen installiert. Wobei man sich fragen kann, ob das immer notwendig ist. In einer Wochenzeitung wurde unlängst ein Feuerwehrmann mit den Worten zitiert, Schüler würden sowieso täglich "alle 45 Minuten eine Evakuierungsübung Richtung Pausenhof" machen. Hat er recht?

Schwehm: Im Prinzip ja. Zusätzliche Fluchtwege sind einer der Gründe, der die Kosten bei Umbauten in die Höhe treibt. Immerhin gibt es zumindest für bestehende Gebäude, die nicht erweitert oder umgebaut werden, einen Bestandsschutz.

Setzen private Bauherren , um nicht in die Brandschutzfalle zu treten, im Zweifelsfall lieber auf Bestandsschutz als auf eine Modernisierung ihrer Immobilie?

Schwehm: Bei Umbauten und Nutzungsänderungen greift der Brandschutz . Er greift auch, wenn Sie für eine energetische Haussanierung eine Genehmigungspflicht brauchen. Bei öffentlichen Bauten kommt hinzu, dass sich die Versammlungsstättenverordnung und der Brandschutz gegenseitig bedingen und überlappen. Weil erstere verschärft worden ist, wird heute auch der Brandschutz strenger gehandhabt.

Sind die Brandschutzvorschriften für Baufachleute noch zu überblicken? Ist das ein Vorschriftenwust oder ist der Brandschutz im Prinzip ein überschaubares Regelwerk?

Schwehm: Prinzipiell ist das überschaubar. Aber faktisch nicht. Sobald eine Umnutzung ins Spiel kommt, ob senioren- oder behindertengerecht, wird der Brandschutz über alles drübergestülpt und die Sache kompliziert.

Wie viel machen die durch Brandschutzauflagen entstehenden Kosten heute prozentual bei Neu- und Umbauten aus?

Schwehm: Wenn Sie hohen Auflagen genügen müssen, kann das locker 15 Prozent der Gesamtbausumme ausmachen. Das Problem sind aber nicht allein die Kosten, sondern dass wir im Saarland auf Seiten der zwölf Unteren Bauaufsichtsbehörden (UBA) zu wenige Ansprechpartner haben, die das Thema Brandschutz in Gänze beherrschen. Dort werden aber die Bauanträge geprüft und gegebenenfalls mit Auflagen versehen. Jede UBA und dort wiederum jeder einzelne UBA-Mitarbeiter handhabt den Brandschutz im Saarland jedoch anders.

Genauso wie auch jedes Bundesland ihn anders handhabt.

Schwehm: Ja. Weil der Brandschutz Teil der jeweiligen Landesbauordnung ist. Die Handhabung der Auflagen ist das Problem, nicht die Brandschutzvorschriften selbst. Der eine Sachbearbeiter in den Behörden hat mehr Angst als der andere, maximiert die Auflagen und damit die Kosten.

Weil jeder sich nach allen erdenklichen Richtungen absichert. Steckt dahinter - wenn man sich den Dokumentationswahn bei uns ansieht und die zunehmende Bereitschaft, mittels Anwälten Regressansprüche einzutreiben - ein gesamtgesellschaftliches Problem?

Schwehm: Auf jeden Fall. Faktisch geht es inzwischen oft nur darum, die Vorgaben zu erfüllen. Ob sie auch umgesetzt werden, ist eine ganz andere Frage. In der Praxis werden bei Brandschutztüren, die schwer sind, die automatisch schließen und deshalb nicht ungefährlich für Kinder, oft sogenannte Brandschutzkeile benutzt. Dass die Türen damit funktionslos sind, ist zweitrangig. Auf Behördenseite drückt man die Augen zu. Alle wissen, dass der Brandschutz oft an der Wirklichkeit vorbeigeht.

Was ließe sich konkret tun?

Schwehm: Eine Lösung bestünde darin, in jeder Behörde einen Brandschutzexperten einzustellen, der die Vorschriften anzuwenden weiß. Mittlerweile gibt es ja eigene Brandschutz-Studiengänge an mehreren Universitäten. Warum stellt nicht jede UBA einen solchen Brandschutzexperten ein? Dasselbe müsste bei der beim Land angesiedelten Oberste Bauaufsicht (OBA) passieren, die in Zweifelsfällen das letzte Wort hat. Mittlerweile haben wir fast 30 000 Brandschutzsachverständige in Deutschland. Die Zahl der Brandopfer ist dadurch nicht wirklich kleiner geworden. Hinzu kommt, dass wir im Saarland offiziell nur zwei Prüfsachverständige für Brandschutz haben.

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