Alle sauber beim Transplantieren – außer Berlin

Saarbrücken · Wer mit der nächsten Skandalflut gerechnet hat, kann aufatmen: Bei Organvergabe-Kontrollen in deutschen Kliniken sind Prüfer nur ein Mal auf systematische Manipulation gestoßen – am Deutschen Herzzentrum in Berlin. Das hatte sich schon selbst angezeigt.

Wäre da nicht das Deutsche Herzzentrum Berlin , die Kontrolleure des Transplantationsgeschehens in Deutschland könnten zwei Jahre nach dem Göttinger Skandal wohl komplett Entwarnung geben. Bei der stichprobenartigen Überprüfung von insgesamt 1090 Übertragungen von Herzen, Bauchspeicheldrüsen und Nieren wurden für die Jahre 2010 bis 2012 keinerlei nennenswerte neue Unregelmäßigkeiten festgestellt. Mit Berlin befasst sich inzwischen die Staatsanwaltschaft.

Im renommierten Berliner Herzzentrum hatten die Prüfer 14 Fälle aufgedeckt, bei denen die Patienten besonders hohe Dosen stark wirkender Herzmedikamente bekommen hatten, ohne dass dies medizinisch notwendig war. Und zwar immer pünktlich zum Stichtag, an dem entschieden wurde, wer von den vielen auf ein neues Herz wartenden Patienten in Deutschland als nächstes dran war. Laut der Vorsitzenden der von Kassen, Krankenhäusern und Ärztekammer gemeinsam getragenen Überwachungskommission, Annegret Rinder, betraf dies nicht reiche Ausländer oder Privatpatienten, sondern ausnahmslos normale Kassenpatienten. Es handele sich um ein "systematisches Vorgehen". Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Verdacht: Weil die Stärke der Dosis der Herzmedikamente ein Kriterium für die Dringlichkeit ist, wollte sich die Berliner Klinik so nach vorne drängen.

Noch nicht ausgewertet sind die Daten aus den Herzkliniken in München-Großhadern und Gießen. Bei allen anderen 66 untersuchten Herztransplantationen in Deutschland gab es null Verstöße. Bei den 111 überprüften Fällen der Transplantation von Bauchspeicheldrüsen war das Ergebnis genauso. Unter den 799 Nierentransplantationen fanden sich drei Verstöße. Acht waren es bei 117 überprüften Lebertransplantationen . Jedoch handelte es sich nur um leichte Dokumentationsfehler, etwa Zahlendreher, in den Krankenakten. Bei den Lebertransplantationen hatte es vor einem Jahr noch anders ausgesehen, als 218 Unregelmäßigkeiten unter 548 Fällen für den Zeitraum 2010 und 2011 auffielen. Darunter auch die Verstöße in Göttingen, die 2012 den Transplantationsskandal ausgelöst hatten. Dort waren systematisch Blutwerte manipuliert worden, um einzelne Patienten zu bevorzugen. Ähnlich, wenn auch zahlenmäßig geringer, waren die Verstöße in drei weiteren Kliniken. Da dafür andere Patienten länger warten mussten und möglicherweise starben, müssen sich die Göttinger Ärzte derzeit vor einem Gericht wegen versuchten Totschlags und Köperverletzung mit Todesfolge in mehreren Fällen verantworten.

Infolge des Skandals ist die ohnehin schon geringe Zahl der Organspenden in Deutschland weiter gesunken. Rund 11 000 Patienten warten dringend auf ein Organ, aber 2013 gab es nur noch 3248 Spenden von 876 verstorbenen Spendern. Zu den Gegenmaßnahmen gehört neben der deutlich verschärften Überwachung des Transplantationsgeschehens auch eine Kampagne für den Organspendeausweis. Nur umfassende Transparenz rund um die Vergabe der Organe könne die Zahlen wieder steigern, meinte im Juni ausgerechnet der Leiter des Berliner Herzzentrum, Roland Hetzer.

Auch eine unabhängige anonyme "Vertrauensstelle" wurde eingerichtet, bei der Bürger und Klinikmitarbeiter verdächtige Beobachtungen melden können. 158 Eingaben gingen bis zum Sommer ein. Etliche Hinweise führten, wurde gestern berichtet, zu unangemeldeten Sonderprüfungen der Überwachungskommission. Im Ergebnis ergaben aber auch sie keine echten Verstöße. Wie es scheint, ist außer Berlin und dem was früher schon entdeckt wurde, das Transplantationswesen ziemlich sauber.Schwerkranke büßen für Organ-Skandale

Saarbrücken. "Das ist ein Desaster." Mit drastischen Worten schlägt Urban Sester Alarm. Gemeint hat der Leiter des Transplantationszentrums der Uni-Klinik in Homburg, dass immer weniger Deutsche bereit sind, Organe zu spenden. "Die Bereitschaft geht extrem zurück." Schuld seien die Skandale der vergangenen Jahre. Heute und auch in Zukunft müssen deshalb tausende schwer kranke Menschen auf Wartelisten "ausbaden, was ihnen einige Transplantationsmediziner eingebrockt haben".

Die Statistik der Deutschen Stiftung Organtransplantation zeigt, was Sester meint. 2010 gab es in der Region Mitte - zu der das Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen gehören - noch 106 Spender. Seitdem sinkt die Zahl rapide. 2011 waren es nur noch 82, 2012 dann 71, im vergangenen Jahr 63 . 2014 soll es sogar nur noch geschätzt 60 Spender in der Region geben. Den negativen Trend umzukehren, wird schwer. Die Mediziner wollen mit "Transparenz, Öffentlichkeit und Ehrlichkeit das Vertrauen in die Organspende zurückgewinnen", sagt Sester. An eine schnelle Wende glaubt er aber nicht. Langfristig werde sich das Konzept jedoch auszahlen. pbe

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